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Die Angeklagten in ihren Bomberjacken feixen sich eins

| Guben-Prozess Opfer der Hetzjagd rechter Jugendlicher werden noch nachträglich gedemütigt

  • Lesedauer: 3 Min.

Anwälte der Angeklagten im Gubener Prozess

Foto: dpa

Von Friedrich C. Burschel, Cottbus

Schon den siebten Monat schleppt sich der Prozess gegen die elf Angeklagten im Guben-Prozess vor dem Landgericht Cottbus hin. Alles deutet darauf hin, dass er auch am Jahrestag des Todes von Omar ben Noui nicht beendet sein wird. Mitte Febraur kam der 28-Jährige nach einer Hetzjagd rechtsradikaler Jugendlicher in Guben ums Leben.

Damit würde wohl die Strategie der Verteidiger aufgehen, die das Verfahren mit einem Sperrfeuer obstruktiver Anträge, von Rügen, Beanstandungen und Befangenheitsanträgen gegen nahezu alle anderen Prozessbeteiligten in die Länge ziehen. Die Stimmung im Gerichtssaal, die von den lässig in Grüppchen mit ihren Angehörigen herumstehenden Angeklagten bestimmt wird, ist entspannt. Plaudernd, lachend und feixend verfolgen die elf 17- bis 21-jährigen jungen Männer das Schauspiel der für sie offenbar amüsanten Verhandlung. Immer

deutlicher zeigen sie sich auch in der für die rechte Jugendszene geläufigen Frisurund Kleiderordnung: Glatze oder ausrasierter Nacken, Bomberjacken und »Lonsdale«-Pullover. Ihnen offensichtlich nicht gewogenen Reportern und den Prozessbeobachtern der Antifa Guben, der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration Berlin und der AG Flucht und Migration Cottbus, welche auch die Opferzeugen betreut, werfen sie verächtliche und hämische Blicke zu.

Nur einer der Angeklagten hat ausgesagt und sich bei den Opfern entschuldigt, nur ein Anwalt schert aus der Verteidigungslinie aus. Immer deutlicher wird, dass das Geschehen der Nacht zum 13. Februar umgedeutet werden soll. Der rassistische Angriff soll als das Ergebnis einer eskalierenden Auseinandersetzung rivalisierender Banden »deutscher Jugendlicher« und der »Ausländer« dargestellt werden. Dabei lassen die Verteidiger keine Geschmacklosigkeit aus, um die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu erschüttern und das Ganze zu einer abgefeimten Tatsachenverdrehung seitens der Ausländer zu stilisieren: Anträge, welche die

Identität jenes Farid Guendoul, der zum eigenen Schutz als Omar ben Noui in Deutschland lebte, anzweifeln, sind Legion. Und zu tumultartigen Szenen im Gerichtssaal kommt es, wenn über den rechtsradikalen Hintergrund der Angeklagten debattiert werden soll.

Als am Dienstag der kahlgeschorene Steffen Henze mit einem Aufnäher »Nationaler Widerstand« auf der Bomberjacke auftauchte und die Nebenklagevertreterinnen deren Inaugenscheinnahme beantragten, brüllten die Verteidiger durcheinander. Ein Aufnäher sage nichts über die Gesinnung eines Menschen aus, rief einer von ihnen. Dass die Jacke seinem Mandanten nicht gehöre und er diese nur »versehentlich« anhabe, gab Henzes Anwalt Carsten Schrank, der als rechter Szene-Anwalt gilt, zu Protokoll. Ausgerechnet Steffen Henze ist es auch, der auch noch vom Ex-Bundesführer der 1994 verbotenen Wiking-Jugend, Rechtsanwalt Wolfram Nahrath, verteidigt wird. Außerdem existieren zumindest von zwei der Angeklagten, nämlich Henze und Jörg Donath Fernsehbilder, die sie in eindeutiger Neonazi-Umgebung auf einer Sonn-

wendfeier im Sommer 1998 zeigen. Damals hatte ein ZDF-Kamerateam das Mobile Einsatzkommando gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit (Mega) der brandenburgischen Landespolizei begleitet.

Der Vorsitzende Richter, Landgerichtspräsident Joachim Dönitz hat oft seine liebe Mühe, die Beherrschung zu behalten und den Prozess an den Klippen der Missachtung des Gerichts vorbei zu manövrieren. Vor kurzem musste er Verteidiger Schrank gar ermahnen, er solle sich »hier anständig« benehmen.

»Ich habe sehr laut geschrien - wie ein Kind«, bekennt der schmächtige 27-jähri-

ge Algerier Khaled B. Er war in der Tatnacht von einem Teil der grölenden Meute zusammengeschlagen worden, während ein anderer Teil die beiden anderen »Dunkelhäutigen« verfolgte. »Wenn man normal rassistisch angemacht wird, merkt man, dass es nicht ernst gemeint ist. Dies war der Ernstfall«, sagt Khaled B. bestimmt. Die Verfolgten hatten Todesangst. Ausländer in Deutschland kennen den »rassistischen Alltag«, in dem sie leben und wissen die Gefahren sehr genau einzuschätzen. Sie wissen auch, dass sie mit wenig Hilfe aus der Bevölkerung rechnen können.

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