Verträge zu Lasten Dritter sind nichtig statt »rechtssicher«
Gehen ganze Opfergruppen leer aus, sind weitere Klagen nicht ausgeschlossen NS-Zwangsarbeit Von Claus Dümde
Kiew, 22. Oktober 1999: Zwangsarbeiterinnen fordern vor der BRD-Botschaft Entschädigung Foto: dpa
Rechtssicherheit vor (Sammel-)Klagen, vor allem in den USA, war das einzige Ziel deutscher Konzerne bei den Verhandlungen um Zahlungen an »vergessene« Zwangsarbeiter. Weder ein Vertrag mit den USA noch das Stiftungsgesetz kann sie garantieren. Auch, weil Verträge zu Lasten Dritter von vornherein nichtig sind.
Vielleicht war sich ja US-Präsident Bill Clinton dessen bewusst, als er am Mittwoch vorm Weißen Haus in Washington sagte, er werde »alles tun, was in meiner Macht steht«, um künftige Klagen von Zwangsarbeitern im Nazi-Reich und Prozesse gegen deutsche Industriekonzerne, Banken und Versicherungen sowie ihre US-Töchter abzuwenden. Diese Macht ist nicht nur deshalb äußerst begrenzt, weil Clinton am Ende seiner zweiten Amtsperiode, zumal arg geschwächt durch die Affäre mit Miss Lewinski, zu Recht als »lahme Ente« gilt. Entscheidend ist, dass in den USA wie in allen Rechtsstaaten, also auch in der Bundesrepublik, die Justiz von Verfassungs wegen unabhängig ist. Das schließt, wie jeder weiß, politische Einflussnahme, zuweilen sehr massive, durch Parlament und Exekutive nicht aus. Aber Richter müssen sich ihr nicht beugen. Im konkreten Fall heißt das: Wenn es die nationalen Gesetze - in den USA, der Bundesrepublik, aber auch in jedem Drittstaat - prinzipiell zulassen und auch keine Verjährung eingetreten ist, können bei den gesamten Nachkriegsregelungen über Reparationen, »Wiedergutmachung« oder sonstige Kompensationen für im Nazi-Reich erlittenes Unrecht »vergessene« Zwangsarbeiter durchaus auch künftig klagen. Und zwar nicht ohne Erfolgsaussichten.
Die Rechtslage ist zwar unter Juristen wie Politikern umstritten, aber eigentlich eindeutig. Denn das Internationale Militärtribunal in Nürnberg hat das im Nazi-Reich praktizierte Regime millionenfacher Sklavenarbeit als Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert. Dass solche Straftaten nicht verjähren können, ist mittlerweile in allen Rechtsstaaten Konsens. Daran direkt, aber auch mittelbar beteiligte Täter könnten, sofern sie noch leben, also auch künftig zur Ver-
antwortung gezogen werden. Wenn das Strafrecht nach wie vor greift, müssten schon von der Logik her auch zivilrechtliche Ansprüche auf materielle Kompensation für erlittenes Unrecht durchsetzbar sein. Dabei kommt neben Entschädigung für Freiheitsberaubung und Gesundheitsschäden auch die Nachzahlung nicht erhaltener Arbeitslöhne in Frage.
Dass bei praktisch allen »Fremdarbeitern« im Nazi-Reich ein erheblicher, oft der größte Teil des Lohnes für »Unterkunft« und »Verpflegung«, z.T. sogar für »Reisekosten«, aber auch für Zwangs-»Sparen« einbehalten wurde, ist aktenkundig und auch in vielen konkreten Einzelfällen noch heute nachweisbar. Die Unternehmen berufen sich gern darauf, dass dies staatlich angeordnet worden ist, was weitgehend zutrifft. Aber es gibt auch' Dutzende Belege dafür, dass auch der eigentlich für die Auszahlung vorgesehene Rest-Lohn nicht oder nur in »Lagergeld«, bei Bauern auch oft in »Naturalien«, ausgegeben wurde. Wenn dann noch die Ehefrau des Lagerleiters die Kantine oder den »Laden« betrieb und die Preise bestimmte, war das System der totalen Ausbeutung perfekt.
An diesen Rechtsansprüchen sowohl gegen konkrete »Arbeitgeber« als auch
gegen die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des »Dritten Reichs« kann weder ein »Letter of intent« der Regierung in Washington an die US-Gerichte noch ein deutsches Stiftungsgesetz etwas ändern, schon gar nicht rückwirkend bei bereits eingereichten Klagen. Die in § 16 des Entwurfs des Bundesfinanzministeriums enthaltene Ausschlussklausel, dass »Ansprüche aus nationalsozialistischem Unrecht gegen die öffentliche Hand... und gegen deutsche Unternehmen... nur nach diesem Gesetz geltend gemacht werden« könnten, dürfte angesichts des oben Dargelegten grundgesetzwidrig sein.
Sollte dieser Entwurf im Kern unverändert auch dem geplanten Vertrag zwi-SGjjß».4enpüS,A ,und der, Bundesrepublik zugrunde gelegt werden, wäje er von vo^ffiter&ri nichtig. Denn deWtfesetzentwurf zufolge sollen ganze Gruppen von Zwangsarbeitern von Leistungen ausgeschlossen bleiben: alle, die außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 zur Sklavenarbeit gezwungen wurden, alle die keine mindestens zweimonatige Dauer und durchgehende Bewachung nachweisen können. Damit würde juristisch auch das geplante Abkommen USA-BRD zum »Vertrag zu Lasten Dritter«. Und die sind laut Völkerrecht nichtig.
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