Kandidat ohne Alternative
Mit Peer Steinbrück schickt sich die SPD frühzeitig in die Rolle eines Juniorpartners
Angela Merkel dürfte im Kanzleramt zufrieden genickt haben, als am Freitag die Nachricht kam, ihr einstiger Finanzminister Peer Steinbrück würde sie bei der nächsten Bundestagswahl für die SPD herausfordern. Sie weiß, dass sie mit dem 65-jährigen gebürtigen Hamburger kein Risiko eingeht. Inhaltlich steht er in seiner Partei deutlich rechts und war von Anfang an der Kandidat sowohl des konservativen Seeheimer Kreises als auch der wirtschaftsfreundlichen »Netzwerker« in der SPD - Gruppierungen, die mit ihren Auffassungen nahe bei CDU und CSU sind.
Damit dürfte die Linie grundsätzlicher Zustimmung des Willy-Brandt-Hauses zur Merkel-Politik weiterverfolgt werden und ebenso scheint gesichert, dass auch künftig sozialdemokratische Wahlkampfthemen so staatstragend daherkommen, dass sie von ähnlichen Projekten der Union leicht unterlaufen werden können. Zwar hat Steinbrück am Sonnabend in Münster die Gefahr, dass »die eigene Wählerschaft durch pseudo-sozialdemokratische Positionen Merkels demobilisiert« werde, benannt, aber gerade er bietet dagegen keine Alternative. Und stellt daher auch von seinen Wahlchancen her keine Gefahr für Merkel dar. Seit dem 23-Prozent-Einbruch der Bundestagswahl 2009 dümpeln die Sozialdemokraten stabil in diesem Bereich und kommen nur selten über die 30-Prozent-Marke. Fast zwei Drittel der Deutschen glauben derzeit nicht, dass Steinbrück tatsächlich Bundeskanzler wird.
Zwar kann die Kanzlerin, deren Partei in Umfragen ebenfalls schwächelt, nicht mit einer Fortsetzung der schwarz-gelben Regierung rechnen, doch mit Steinbrück scheint zum einen die Gefahr gebannt, dass die SPD zur stärksten Partei werden könnte, und zum anderen dürfte sich eine durch ihn geprägte Sozialdemokratie einer Neuauflage der wesentlich vom Duo Merkel/Steinbrück geprägten großen Koalition 2005 bis 2009 kaum verweigern.
Schon zum Ende dieser Partnerschaft hatte sich Steinbrück für eine Fortsetzung von Schwarz-Rot ausgesprochen, und als das misslang, diente er sich Merkel als ihr Berater in der Wirtschaftskrise an, was sie freilich kühl ablehnte. Theatralisch erklärte er zwar jüngst, »Peer Steinbrück wird nie wieder in einem Kabinett von Frau Merkel zu finden sein«, doch was von solchen Ankündigungen zu halten ist, wissen die SPD-Wähler spätestens seit 2005, als ihre Partei Wahlversprechen zur Mehrwertsteuer über Nacht vergaß und der Union das Geschenk der Rente mit 67 machte, um regieren zu dürfen. Auch diesmal erhofft sich die SPD- Spitze ein Wahlergebnis, das sie wieder auf Regierungssessel bringt - gegen den jetzigen CDU/CSU-Partner FDP, vor allem aber gegen die Grünen, die eine Mehrheit auch mit der Union herstellen könnten.
Schon als Minister in Schleswig-Holstein, mehr noch aber später in Nordrhein-Westfalen, wo Steinbrück das Ziehkind des heutigen Industrielobbyisten Wolfgang Clement war und von ihm das Ministerpräsidentenamt erbte, pflegte er unverhohlen deutliche Distanz zum grünen Koalitionspartner. Auch in seinen ersten Erklärungen nach der Kandidatenkür kam Rot-Grün nur beiläufig vor, er wolle ein Wahlergebnis, »das uns in die strategische Position bringt, die nächste Bundesregierung zu bilden«, erklärte er sybillinisch. Kein Wunder, dass sofort die von der Union immer wieder düpierte FDP Morgenluft witterte.
Peer Steinbrücks Kandidatur ist die logische Konsequenz einer Entwicklung der SPD in den vergangenen zehn Jahren, die sie - bei allen Schwankungen - immer weiter von ihrem einstigen traditionell linken, arbeitnehmerfreundlichen Standort weg führte - hin zur viel beschworenen »Mitte«, die sich ideologisch als »bürgerlich« definiert und für die privater Besitz in der Regel mehr zählt als soziale Gerechtigkeit. Dieser Paradigmenwechsel, von Gerhard Schröder und Franz Müntefering besonders forciert, ist bestimmend auch für die heutige Sozialdemokratie. Verbissen und oft intrigant wurden seither alle Versuche unterbunden, wenigstens teilweise wieder zu sozialdemokratischen Werten und Idealen zurückzukehren.
Das erlebte Andrea Ypsilanti, als sie 2008 versuchte, eine rot-rot-grüne Mehrheit gegen Roland Koch zustande zu bringen und von ihrer eigenen Partei schmerzhaft ausgebremst wurde. Sie bezahlte mit einem Sturz in der Versenkung. Gut möglich, dass Hannelore Kraft, die in Nordrhein-Westfalen anders, aber ebenfalls unbefangen mit der Linkspartei umgegangen war, nicht ähnlich enden wollte und sich auch deshalb frühzeitig aus dem Kandidatenkarussell zurückzog.
Ebenfalls 2007/2008 bemühte sich der damalige SPD-Chef Kurt Beck, wenigstens einige der unsozialen Hartz-IV-Bestimmungen aufzuweichen, gegen den erbitterten Widerstand Münteferings und Frank-Walter Steinmeiers. Sie waren es denn auch, die ihn im September 2008 mit einer Intrige zum Rücktritt zwangen und selbst das Zepter als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat übernahmen - übrigens mit ähnlich gespielter Siegeszuversicht, wie sie jetzt um Steinbrück verbreitet wird. Wenn vielleicht auch Zufall, so doch einer von hoher Symbolik, dass Beck jetzt just an jenem Tag den Verzicht auf alle politischen Ämter erklärte, als mit Steinbrück ein erklärter Rechtsaußen zum Hoffnungsträger der Sozialdemokratie gekürt wurde.
Diese Erfahrungen im Hinterkopf dürften Sigmar Gabriel bewogen haben, ebenfalls beizeiten aus dem Feld zu gehen. Bereits vor anderthalb Jahren, so verriet er jetzt, habe er sich aus der Troika zurückgezogen. Bis dahin hatte er ab und an versucht, das immer verschwommenere soziale Profil seiner Partei wenigstens wieder etwas zu schärfen - weniger aus Überzeugung, sondern weil er spürte, wie sehr die SPD danach verlangte. Damit fand er jedoch bei der rechts dominierten Parteiführung wenig Anklang. Vielmehr musste er erleben, dass seine Schwächen - Sprunghaftigkeit, Spontaneität, mangelnde Ausdauer - in der medialen Darstellung zum Hauptthema wurden, wohl nicht ohne Zutun interessierter Kreise des rechten Flügels.
Gabriel überließ Steinmeier und Steinbrück das Feld, auch inhaltlich. Letzter Beleg dafür war das von ihm erarbeitete Rentenkonzept, das sich auf einige kosmetische Korrekturen beschränkt und in den Hauptfragen, der Rente mit 67 und der Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent, den unsozialen Kurs bestätigt. Beide verbliebenen Kandidaten konnten damit leben. Am Ende war es Steinbrück, der die längst gefallene Kandidatenentscheidung durchsickern ließ, um die Parteilinke, die vor der personellen Festlegung auf der Klärung inhaltlicher Fragen bestand, ins Leere laufen zu lassen. Dadurch zwang er Gabriel gegen dessen Willen zu schnellem Handeln. Das Manöver, dem der linke SPD-Flügel wie Jusos nur noch ohnmächtig zusehen konnten, zeigt einmal mehr das gegenwärtige Kräfteverhältnis in der Sozialdemokratie. Insofern ist Steinbrück tatsächlich der Kandidat, der zur Partei in ihrer derzeitigen Verfassung passt.
Der kräftig verbreitete Optimismus hinsichtlich der Wahlchancen des studierten Volkswirts, der für »klare Kante« steht, dürfte hingegen verfehlt sein. Schon im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2005 verfing seine Rhetorik, die sich urplötzlich gegen den »Raubtierkapitalismus«, gegen einen »entfesselten Marktkapitalismus« richtete, nicht. Die Wähler verpassten ihm damals das schlechteste NRW-Ergebnis seit 1954 und entschieden sich für den blassen CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers. Als »Partei der Mitte« hat die SPD, das zeigten solche Wahlniederlagen wie auch jene im Bund 2005 und 2009, kaum eine Chance, die führende Kraft in der Regierung zu werden. Die Klientel, die sie wählt, will sie - wie zum Beispiel im Nordrhein-Westfalen Hannelore Krafts - als linke Partei wenigstens wahrnehmen, oder sie verweigert ihr die Stimme.
Ein Biograf Steinbrücks bescheinigte diesem bereits mit Blick auf das NRW-Wahldebakel von 2005, wo er war, habe er verbrannte Erde hinterlassen. Nachdem es vor vier Jahren nach Frank-Walter Steinmeiers katastrophalem Absturz bei der SPD schon lichterloh gebrannt hatte, könnte der neue Fackelträger Peer Steinbrück im Wahlkampfjahr 2013 den Rest erledigen.
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