Revoluzzer mit Handgranate
EMMANUEL CARRÈRE: »Limonow«, das Porträt eines extrovertierten Russen
Limonow. Ach, wenn man solch einen Namen hätte. Hell, sauber, kraftvoll, kühn, er duftet, er erfrischt. Mit diesem Namen käme man groß heraus, im Schwatzzirkel der Literaten, im Männerbund der Politik, auf jeder Bühne für Selbstdarsteller. Man hätte eine Website in edlem Schwarz (www.limonow.de) und auf der Website diese Zitrone, geteilt und saftig glänzend. Bei stärkerem Mitteilungsdrang würde man noch eine News-Postille drucken, und da einer mit dem Namen Limonow Humor besäße, einen etwas rabiaten Humor, würde er das Blättchen »Limonka« nennen, das klingt so sauber wie gefährlich. Limonka, die Handgranate. Das Logo? Ein Früchtchen, grüngelb, mit Griff und Ring. Und gäbe es gar ein Buch über Limonow, wäre auf dem Schutzumschlag - limonengrün auf edlem Weiß - ... na, Sie wissen schon.
Limonow, Eduard Limonow. Nie gehört? Dieser Limonow ist Protagonist eines packenden Romans, Schöpfung des französischen Erzählers Emmanuel Carrère, Jahrgang 1957. Limonow: Draufgänger und Frauenheld. Wir denken uns dunkle Augen hinter einer kantigen Brille, das Haar aufgestellt, eine weißgraue Bürste, dazu ein Bart über Kinn und Lippen, so ein Bärtchen, wie es Trotzki trug. Carrères Schöpfung vereint Eigenheiten, die man in dieser Stärke selten beieinander findet. Klugheit und Schaffenswut, Energie und Exaltiertheit; der Mann hat etwas Verderbtes, ja, er liebt das Böse und landet dennoch bei den Guten. Vor allem eine Eigenart sticht hervor: sein Vermögen, auf mehreren Bühnen zu tanzen, in verschiedenen Kreisen das große Rad zu drehen.
Was für ein Held. Nicht sympathisch, aber faszinierend. Und das Faszinierendste: Es gibt ihn wirklich. Carrère erzählt die Geschichte eines Zeitgenossen. Limonows Leben, ein paar Eckpunkte: geboren 1943 in Dsershinsk, aufgewachsen in Charkow, Ukraine. Avantgarde-Lyriker in Moskau, Dissident, 1974 ausgewiesen. Hungerleider und Obdachloser, dann Provokateur und Partylöwe in New York, ein sexbesessener Dandy. Ab 1982 in Paris. Seit 1991 wieder in Russland, Gorbatschow gab ihm die Staatsbürgerschaft zurück.
Limonow hat Daniil Charms und Majakowski gelesen, er hörte Lou Reed, die Sex Pistols und The Clash, er publizierte eine Fülle an Büchern. Man zähle bei Wikipedia: 17 Romane (manchmal zwei in einem Jahr, etliche waren erfolgreich), 8 Bände Erzählungen, 7 Bände Gedichte, 11 Bände Publizistik, 4 Bände Essays.
Politisch ist der Mann ein Chamäleon, es geht ihm mehr um die Pose des machthungrigen Rebellen (man denke an den Trotzki-Bart) als um Parteinahme. Erst radikal links, dann radikal rechts. Er beklatschte die Putschisten gegen Jelzin. Er belagerte Sarajevo, gemeinsam mit den Serben. 1994 gründete er die Nationalbolschewistische Partei Russlands (2005 wurde sie verboten), eine Partei mit chauvinistisch-allrussischer Doktrin, antiamerikanisch, totalitär, eine Truppe regierungskritischer Skins in Schwarz. (Carrère hörte sie skandieren: »Stalin! Berija! Gulag!«) Aber, seltsam: Anna Politkowskaja und Jelena Bonner sprachen gut über den Verein. Seine Hauspostille hieß »Limonka«, sie wurde ebenfalls verboten. Auf Listen regierungsnaher Killer steht Limonow, dieser rückwärts gewandte Revoluzzer, weit oben. Den Behörden galt er als Terrorist, 2001 wurde er verhaftet, jahrelang saß er in einem Gefängnis des FSB und im Lager. Sein Band von 2005 heißt »Limonow contra Putin«. Carrère vergleicht die beiden Alphatiere - Herkunft, Denken, Attitüde -, er findet sie sehr ähnlich. »Der Unterschied ist: Putin hat es geschafft. Er ist der Chef.« Limonow bleibe nur, »Wolf im Schafstall« zu spielen: die Rolle des tugendhaften Demokraten. 2009 gründete der ewige Krawallbruder eine Plattform für friedliche Straßenproteste. 2012 wollte er sich zum Präsidenten wählen lassen ...
Emmanuel Carrère hat Limonow einst in Paris kennengelernt, in den Achtzigern, er ist ihm jetzt wochenlang durch Russland gefolgt. Er fragt: »Wer ist Eduard Limonow? Ein Schriftsteller? Ein Krimineller? Ein Faschist?« Er sagt: »Er selbst sieht sich als Helden, man kann ihn auch als einen Drecksack betrachten: Ich selbst behalte mir mein Urteil vor.« Carrère - angeekelt und hingerissen - reproduziert ein wildes Leben, eine Biografie von berauschender Wucht. Er schreibt witzig, zynisch, schlagfertig. Und wie nebenher, mit leichter Hand, zeichnet der Franzose auch noch ein Bild der schwierigen russischen Verhältnisse. »Limonow« ist ein atemberaubendes Buch, so fesselnd und dicht, so geradlinig und widersprüchlich, wie Prosa nur sein kann.
P.S.: Limonow ist allerdings nur ein Pseudonym. Der Mann heißt Eduard Weniaminowitsch Sawenko.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.