Geschehen am Tewe Mojun
GALSAN TSCHINAG: »Gold und Staub«, ein großer Roman
Nie hörten wir vom »Tewe Mojun«, dem »Kamelhals«, wie ihn die Tuwa nennen. Es ist ein Berghang im Lande der Fünf Flüsse, nahe dem Tal des Gelben Sees, tief in der Mongolei am Fuße des Altaigebirges. Wenig wissen wir von dem nomadischen Bergvolk hier. Aber das Wenige wissen wir von Galsan Tschinag, dessen Heimat die mongolische Bergsteppe ist, der in die Welt ging und »nach langen Jahren Lakaiendasein unter einer gleichgeschalteten. verängstigten Menschenherde« zurückkehrte und von diesem »traumhaft anmutigen Winkel der Erdkugel ... dem Wunderwerk aus Steppe, Berg und Himmel« wieder einen Roman von Weltformat in die Welt schickt.
Dieser Roman ist nicht nur aus Geschichten und Legenden gewebt, die so alt sind wie die Welt selbst, aus Träumen und schamanischer Tradition gewirkt, angekommen ist auch hier die alltägliche Gegenwart modernster Technik vom Handy über den Lexus bis zu Baukränen und Schotterfahrzeugen. Kaum niedergeschrieben, erhebt der Roman selbst den Anspruch, einzugehen in die »mongolisch-schamanisch-nomadische Legende«. Diese Legende hat eine weibliche Seele. Wichtig sind darin die Frauen: Ehefrau und Mutter, Köchin, Schamanin, Pflegerin von Jurte und Herd, Liebende, Geliebte, Verführerin. Wie der Titel schon verrät, geht es um »verfluchtes« glänzendes Gold und um Staub, Geröll und Schotter. Es geht um mehr: um Zerstörung und Bewahrung, ja, um Tod und Leben. Alles in dem Roman ist zwiegesichtig. Gierig greifen große Haie nach den Schätzen der Mutter Erde, dem Wasser des Sees und der Goldader am Tewe Mojun. Gierig schaben auch die vielen kleinen Zukurzgekommenen ameisengleich nach ein paar Goldbrocken im Gestein.
Der Autor und Ich-Erzähler hat - man kann es schon so nennen - ein Wahnsinnsvorhaben. Er will den Altai wieder aufforsten. Zunächst aber soll der verwahrloste Steppenfriedhof, die Liegestätte der Eltern und Brüder, wieder in Ordnung gebracht werden. »Ich räume eine mit verfallenen Grabhügeln und gähnenden Löchern übersäte Steppe auf, um dort einen menschenwürdigen, grünen Friedhof mit bunten Blumen und einem Wald herzurichten ...« Es ist ein Projekt in die Zukunft, »der Friedhof ist eigentlich die ganze Welt«. Dem Vorhaben stellt sich jedoch vieles in den Weg. Es fehlt an Geld und Material, und die Arbeiter fürchten die Geister der hier bestatteten Ahnen. Da taucht plötzlich eine wunderschöne, feuerblonde Kasachin auf und bietet Hilfe an. Die Fremde hat alles, was dem alternden »Häuptling« nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung steht: Jugend, Reichtum, Unternehmergeschick.
Die »Goldmilliardärin«, wie sie die Leute nennen, wird zur verführerischen Gegenspielerin des Weltenretters, eigentlich zu seiner anderen Hälfte bei all den zwiespältigen Unternehmungen. Sie wird Gold professionell aus dem Berg holen lassen. Aber - nur der Autor nimmt es wahr: es grummelt bedrohlich unter der verletzten Erde am Tewe Mojun.
Das Geschehen des Romans umfasst nur wenige Tage, doch jeder Tag ist ein Schritt auf dem Jahrhundertweg der Menschheit.
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