Klassenkrieg

NOAM CHOMSKY UND OCCUPY

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor Kurzem feierte Occupy den ersten Jahrestag der Wall-Street-Besetzung. Nachdem anfänglich selbst die bürgerliche Presse positiv berichtete, ist nunmehr das Interesse erlahmt. Von New York über Boston bis hin zum kalifornischen Oakland sind alle Camps geräumt worden, zum Teil von einer brachial vorgehenden Polizei. Über 6000 Menschen sind im Lauf eines halben Jahres nach Beginn der Proteste in den USA verhaftet worden. Trotz der Repression hat sich die Bewegung nicht aufgelöst, sie ist nur medial weniger sichtbar. Derzeit organisieren die Aktivisten vor allem dezentrale Proteste.

Hierzulande wurde Occupy von der radikalen Linken mitunter recht kritisch abgekanzelt: als postpolitisches Phänomen, das »mehr Demokratie« einfordere, jedoch unkonkret bleibe, beliebig sei und einer verkürzten Kapitalismuskritik huldige. Das sieht der altlinke Anarchist Noam Chomsky ganz anders. In seinem neuen Buch zieht er eine positive Bilanz.

Der 1928 geborene Sprachwissenschaftler wertet die Occupy-Proteste als einen »sehr bedeutsamen Moment der amerikanischen Geschichte«. Das erste Mal seit gut dreißig Jahren sei durch sie eine »kontinuierliche Antwort« auf die Politik des Neoliberalismus erkennbar.

Mit der Krise Ende der 70er Jahre, so Chomsky, begann die Politik einer radikalen sozialen Verschiebung, die sich gegen Arbeiter, Angestellte und Arbeitslose richtete und das Ende des fordistischen Kompromisses einläutete. Die Ärmsten traf es ebenso wie den Mittelstand, der sich bei sinkendem Realeinkommen immer mehr verschuldet - sei es, um per Kreditkarte das tägliche Leben zu bezahlen oder um die von der Bank aufgeschwatzte Immobilie abzustottern.

Occupy ist laut Chomsky die erste ernst zu nehmende Antwort auf den »Klassenkampf von oben«, der in den USA unter Präsident Ronald Reagan mit der Dämonisierung jeglicher Sozialpolitik begann und in die Deregulierung der Finanzmärkte mündete. Der Begriff des »Klassenkampfes von oben« ist in seiner Heimat mittlerweile schon fast ein geflügeltes Wort, nicht zuletzt nachdem der Multimillionär Warren Buffet 2006 in einem Interview mit der »New York Times« erklärt hatte: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.«

War in früheren Krisen in den USA noch das Gefühl vorherrschend, man würde schon irgendwie wieder aus dem Schlamassel herauskommen, so fehlt heute eine derartige Hoffnung. Occupy schafft es jedoch, gegen die mit der Krise einhergehende allgemeine Atomisierung und Vereinsamung der Menschen anzugehen. Durch Occupy fanden sie sich zusammen, tauschten sich geistig aus und lernten, sich wieder zu organisieren. Dadurch entstand ein solidarisches Gefüge, das einer wirtschaftlichen Selbstorganisation dienlich sein kann. Denn die Übernahme von Betrieben - durch Streik oder durch Erwerb des Unternehmens durch die Arbeiter - ist für Chomsky ein zentraler Punkt für mögliche gesellschaftliche Veränderungen, die das scheinbar übermächtige neoliberale Regime aufbrechen. Die parlamentarische Arbeit bietet seiner Meinung nach derzeit keinerlei erfolgversprechende Optionen.

Die Konzentration von Reichtum und politischer Macht in den Händen weniger verurteilt Demokratie zu Makulatur. Die Kluft zwischen Regierungspolitik und dem Willen der Bevölkerung bezeichnet Chomsky als »astronomisch«. Dies illustriere deutlich der laufende Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Anstatt eine offene Diskussion um Kandidaten zu führen, werden in Shows die Kandidaten präsentiert. Es gäbe keine wirkliche Wahlmöglichkeit, geschweige denn ein Mitspracherecht der breiten Massen.

Occupy ermöglicht dahingegen eine basisdemokratische politische Teilhabe. Wenn die Bewegung sich noch nicht ausweiten konnte, so hat sie es doch immerhin geschafft, ihre Themen und ihre sozialkritische Terminologie in den Medien zu platzieren. Chomsky erinnert an die Bürgerrechts- und die Anti-Vietnamkriegsbewegung der 60er Jahre, in der er selbst stark engagiert war. Auch diese hatte klein begonnen, wuchs aber machtvoll an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.