Eine dämonische Kraft

OTTO VON BISMARCK - EINE BIOGRAFIE

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Leben und Wirken Otto von Bismarcks hat deutsche und angelsächsische Historiker und ihre Leser immer wieder fasziniert. Im vorigen Jahr erschien nun das Buch »Bismarck. A Life« des US-amerikanischen Historikers Jonathan Steinberg. Es fand in den USA und England begeisterte Rezensenten, darunter US-Ex-Außenminister Henry Kissinger. Nun liegt die deutsche Übersetzung vor.

In den meisten Bismarck-Biografien dominiert die Persönlichkeit, tritt die Darstellung seines politischen Denkens und Handelns dahinter zurück. Steinberg hingegen definiert die Absicht seines Lebensbildes wie folgt: »zu erklären, wie Bismarck seine persönliche Macht ausübte«. Er zitiert sehr ausführlich aus Briefen Bismarcks sowie aus Briefen und Tagebüchern von Zeitgenossen. Sein Buch trägt so auch Züge einer Dokumentation.

Steinberg nennt Bismarck »eine der größten politischen Gestalten aller Zeiten« und »cleversten politischen Akteur des 19. Jahrhunderts«. Dabei sieht er dessen Politik und insbesondere seinen Charakter kritisch. Steinberg knüpft an Thesen seines Landsmanns Otto Pflanze an. Dieser meinte: Bismarck habe als Kind unter seiner starken und gefühlskalten Mutter gelitten und sie gehasst. Dieses Trauma habe er später auf Augusta, die Gattin Kaiser Wilhelms I., und schließlich auch auf die Kronprinzessin Viktoria projiziert. Auch seine Hypochondrie und sein Hang zur Völlerei, so Steinberg, seien aus seelischen Verletzungen in der Kindheit zu erklären. Nicht jeder Leser wird diesen Ausflügen in die Psychoanalyse folgen wollen. Der Autor verdeutlicht jedoch gekonnt die tiefe Widersprüchlichkeit in Bismarcks Charakter und seinen Verhaltensweisen. »Falschheit und Aufrichtigkeit, Rachsucht und Freundlichkeit, hypochondrische Empfindlichkeit und unerschöpfliche Energie, kühle Distanziertheit und Liebenswürdigkeit, Täuschung und Offenheit: Bismarck vereinte alle diese Gegensätze.«

Der Autor bettet das Wirken Bismarcks in den Gang der Zeitläufe ein, wobei seine Darstellung Disproportionen aufweist. So schreibt er lediglich eine halbe Seite über das Sozialistengesetz und den Deutsch-Russischen Rückversicherungsvertrag. Die Bismarck-Biografen Erich Eyck, Lothar Gall, Ernst Engelberg und Pflanze haben einhellig gewürdigt, dass Bismarck Mitte der 1880er Jahre die Pläne der deutschen Militärführung, gegen Russland einen angeblichen Präventivkrieg zu führen, durchkreuzt hat. Steinberg erwähnt das nicht einmal.

Als Fazit formuliert der Autor: Bismarck habe eine »dämonische« Kraft besessen, »die ihn zu einer ebenso unwiderstehlichen wie letztlich unheilvollen politischen Figur machte«. Und: »Bismarcks Erbe ging, durch Hindenburg weitergegeben, an das letzte ›Staatsmanngenie‹ über, das Deutschland hervorgebracht hat - Adolf Hitler. Insofern führt eine gerade Linie von Bismarck zu Hitler.« Hier wird ihm mancher Leser nicht folgen wollen; Rezensent Kissinger hat diese Passage auch beanstandet. Und berichtigt werden muss: Kaiserin Augusta hat nicht sächsisch gesprochen. Sie hat als Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach ihre Kindheit und frühe Jugend in Weimar verbracht. Und dort sprach man neben Hochdeutsch den thüringischen Dialekt. Dennoch: Steinberg hat ein anregendes, kluges Buch vorgelegt.

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