Ein irrationaler Horror

FEINDBILD ISLAM

  • Heinz-Dieter Winter
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit den frühen 90er Jahren, als dem Westen das Feindbild im Osten verloren ging und die NATO ein neues im »Krisenbogen des Südens« (BRD-Verteidigungsminister Wörner) ausmachte, hat sich ein Gespinst aus Angst vor dem und Hass auf den Islam tief »in die Poren der Gesellschaft eingenistet«, bemerkt Werner Ruf und belegt dies faktenreich. Der irrationale Horror erkläre auch die Popularität von Publikationen wie die von Henryk M. Broder oder Thilo Sarrazin. Deshalb sei auch der Massenmord des rechtsextremen Norwegers Anders Breivik anfangs von den Medien spontan »Islamisten« zugeordnet worden. Und darum hat man auch nicht rechtzeitig erkannt, dass die Mordserie in Deutschland von Neonazis verübt worden war.

Ruf zerpflückt überzeugend das Feindbild Islam, wobei er weit zurück in die Vergangenheit geht, bis ins 13. Jahrhundert. Die aggressive Reaktivierung des Feindbildes Islam erfolgte zeitgleich mit der Veröffentlichung des US-amerikanischen Politologen Samuel P. Huntington über den angeblichen »Clash of Civilizations« - ein »bis zur Geschichtsklitterung getriebenes simplifiziertes Paradigma«, wie Ruf urteilt. Er sieht die Politisierung oder politische Instrumentalisierung des Islam im Kontext der imperialistischen Expansion in den Nahen Osten. Für die Strategen des Westens sei der nahöstliche Raum mit seinen Energieressourcen und zugleich als Krisenregion par excellence schon seit längerem von besonderem Interesse gewesen. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 müssen ihnen wie »ein Geschenk des Himmels erschienen« sein.

Ruf ist der Meinung, dass die »Arabellion« 2010/11 das auf Huntington zurückgehende »schon immer falsche, aber zum allgemein gültigen Paradigma erhobene Konstrukt in einen Scherbenhaufen« verwandelt habe. Der Sturz der Diktatoren von Tunesien, Ägypten bis Libyen habe gezeigt, dass die behauptete Unvereinbarkeit von Demokratie und Islam falsch ist. Nun müssten der berühmten Rede von Barack Obama in Kairo Taten folgen. Das erfordere aber, dass der Westen diesen Völkern tatsächlich die Ausgestaltung ihres Gemeinwesens nach deren Gutdünken gestatte. Danach sieht es jedoch momentan nicht aus. Der Arabische Frühling hat das Feindbild nicht aus der Welt geschafft. Die westliche Dominanzpolitik gegenüber islamischen Ländern hat sich nicht geändert. Die Bereitschaft zu militärischen Interventionen ist ungebrochen.

Ruf zitiert Umfrageergebnisse, die eine zunehmende Islamophobie in der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern bezeugen. Diese beruht jedoch nicht auf eigenen Erfahrungen der Bürger, sondern wird von Politik und Medien geschürt und wurzelt auch in der wirtschaftlichen Krise und dem Sozialabbau. »Damit erfüllt diese Angst auch eine Funktion, sie soll ablenken von den realen sozialen Bedrohungen, denen große Teile der Gesellschaft als Folge der gnadenlosen Umsetzung neoliberaler Politik ausgesetzt sind«, schreibt Ruf. Ein kluges und wichtiges Buch.

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