Kanonade am Wurmberg
Die Nachbarorte Schierke und Braunlage wollen zum Skizentrum des Harzes werden - aber jeder für sich allein
Noch vor wenigen Monaten wurde der Goslarer Landrat und Vorsitzende der Regionalverbandes Harz, Stephan Manke (SPD), nicht müde zu erklären, in der Tourismusregion Harz konkurriere man nicht untereinander, sondern man messe sich mit Urlaubsgebieten wie dem Schwarzwald und Bayern. Doch da waren die Schneekanonen schon in Stellung gebracht.
Nun tobt der Streit rund um den höchsten Berg Niedersachsens, den Wurmberg. Während Manke sagt: »Wir wollen auch künftig in drei Ländern einen Harz verkörpern«, fahren Kommunalpolitiker in Wernigerode (Sachsen-Anhalt) und Braunlage (Niedersachsen) die Ellenbogen aus und öffnen ihre Taschen weit für Fördermittel. Die sollen - es geht um Millionen - aus Magdeburg beziehungsweise/und Hannover kommen: für Wernigerodes Ortsteil Schierke sowie für ein alpines Wintersportgebiet in Sichtweite, aber auf niedersächsischem Gebiet mit Ausrichtung auf Braunlage.
23 Jahre nach der Grenzöffnung werden nicht nur schneisenweise Fichtenbestände für eine »viersesslige Seilbahn« im Westen gefällt, sondern auch tiefe Gräben geschaffen, wo länderübergreifende Tourismusprojekte möglich wären. Lange vergessen die Nachwendezeit, als Schierke und Braunlage sich gemeinsam um die Olympischen Winterspiele im Jahr 2006 bewerben wollten.
Zyniker im Ostharz unterstellen den Westharzern, dass sie wieder eine Mauer bräuchten. Schließlich habe vor 1989 die Grenze dafür gesorgt, dass die Touristen aus dem Westen in Braunlage, Bad Harzburg oder St. Andreasberg blieben. Doch dann konnte in den Osten gereist werden, und im Westharz, wo auch Investitionen ausgeblieben waren, sanken die Betten- und Übernachtungszahlen, während im Osten die Ärmel hochgekrempelt wurden. Gut geförderte Investoren bauten neu oder verwandelten den DDR-Standard in modernen Chic. Nun aber klotzen die Ost- und Westharzer richtig - jeder für sich. In Schierke, einst beschauliches Urlauberdörfchen für DDR-Bürger mit Passierschein, soll ein für 715 Stellplätze ausgelegtes Parkhaus Winterwochenendprobleme lösen. Brücken und Umgehungsstraßen entstehen, Architekten wollen Arkaden überdachen, damit Touristen flanieren können. Geschätzte Kosten: 36 Millionen Euro. »Ein St. Moritz für Arme«, meinen Kritiker quer durch die Parteienlandschaft von CDU bis LINKE. Sie sprechen von einem »Phantom-Skigebiet«, das hier aus dem grünen Harzboden gestampft werden soll. Süffisant erinnern sie an frühere Worte von Wernigerodes parteilosem Oberbürgermeister Peter Gaffert, den die SPD vor einigen Jahren an die kommunalpolitische Front holte. Vor 15 Jahren erklärte dieser, damals noch engagierter Leiter des Nationalparks Hochharz, via »Die Zeit«: »Die richtigen Alpinskiläufer fahren ohnehin nicht in den Harz, sondern in die Alpen.« Nun kämpft er als OB für ein teures alpines Skizentrum. Sein Traum: eine Skischaukel, die Schierke direkt mit dem Wurmberg verbindet. Mit Lift und Abfahrt über den Winterberg könne Anschluss an das Wintersportgebiet Braunlage gefunden werden.
Das aber scheint eine Illusion zu sein - wie vor vier Jahren die Pläne, die Schienen der Harzer Schmalspurbahnen von Elend bis nach Braunlage zu verlängern. Auch Gafferts Amtskollege in Braunlage, Stefan Grote (SPD), gibt den Plänen wenig Chancen und hält die Abfahrt in Richtung Ostharz für unattraktiver als seine drei Wurmbergpisten. Dass gerade der Wurmberg mit Macht und Millionen zum Mekka alpinen Skisports im Harz ausgebaut werden soll, versteht, wer weiß, dass in Braunlage inzwischen jeder vierte Beherbergungsbetrieb schließen musste, jeder sechste Braunlager verließ in den vergangenen zwölf Jahren den Touristenort.
Naturschützer in Niedersachsen protestieren gegen die Fällung von 10 000 Bäume für die Lift- und Pistenerweiterung. Der BUND will die Rodungsarbeiten, die schon weit fortgeschritten sind, unterbinden und reichte jetzt beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Normenkontrollklage ein.
Da die einst schneesicheren Harz-Orte so schneesicher nicht mehr sind, soll zudem eine Beschneiungsanlage her. Sie soll aus Richtung Braunlage 80 Millionen Liter Harzwasser pro Saison aus der Warmen Bode durch die Schneekanonen jagen.
»Es liegen uns keine Naturverträglichkeitsstudie und keine Nachhaltigkeitsbilanz vor«, sagt der umweltpolitische Sprecher der LINKEN im Magdeburger Landtag, der Harzer André Lüderitz. »In Zeiten des Klimawandels sollte man sich hier nicht auf Alpin-Ski orientieren. Wenn es Insellösungen am Winterberg im Osten und am Wurmberg im Westen geben soll, dann gibt es im Sinne von Ökonomie und Ökologie doppelte Fehlinvestitionen.« Sein Fraktionskollege, der Wirtschaftspolitiker Frank Thiel, nennt das unkoordinierte Agieren »Kirchturmpolitik«.
Wie wenig im Harz zusammenläuft, bestätigt auch der Harzer Tourismusverband: »Wir sind natürlich an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Da wir aber bislang nicht im Detail in die Diskussionen eingebunden sind, und es in diesem Zusammenhang viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen gibt, ist es uns derzeit nicht möglich, ein fundiertes Statement zu dem Thema zu geben«, erklärt Geschäftsführerin Eva-Christin Ronkainen.
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