Vollversorgung lässt noch auf sich warten
Harzer Wissenschaftler suchen Lösungen für Netzstabilität mit Ökostrom
»Wir reden hier über ein Forschungsprojekt. Das ist weder komplett, noch sofort umsetzbar. Wir blicken damit in die mittlere Zukunft«, erklärt Florian Schlögl vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Das Institut koordiniert das 16 Millionen Euro teure und mit zehn Millionen Euro geförderte Modellprojekt »Regenerative Modellregion Harz«, das gerade abgeschlossen wurde. »Es gibt nicht das eine große Ergebnis, sondern viele Teilergebnisse«, ergänzt sein Kollege Kurt Rohrig. Vier Jahre lang haben über 20 Projektpartner aus verschiedenen Bereichen der Elektrizitätswirtschaft Technologien und Geschäftsmodelle für die »Smart Grids« genannten intelligenten Netze entwickelt. Die verbinden die verschiedenen Einspeiser innerhalb eines Stromversorgungssystems und sollen dessen Stabilität gewährleisten.
So verknüpft in Dardesheim ein virtuelles Kraftwerk 21 Stromerzeugungsanlagen im Harz übers Internet miteinander, ein Drittel davon, wie das große Pumpspeicherwerk Wendefurth, jedoch nur als Simulation. Der Zweck der Kooperation: Auch wenn der Wind mal schwächer weht, muss der Strom gleichbleibend in den Netzen fließen. Die Erzeugungsprognose für den nächsten Tag auf dem Bildschirm der Leitwarte ermöglicht dann, andere Stromerzeuger zuzuschalten. Die Dächer im Harz bieten nach aktuellen Berechnungen 21 Quadratkilometer Fläche für Photovoltaikanlagen, zehn Quadratkilometer für Windkraftanlagen kommen dazu. Die vorhandenen Potenziale für erneuerbare Energien reichen damit aus, den gesamten Landkreis regenerativ zu versorgen und darüber hinaus sogar Strom zu exportieren. »Ohne den Optimismus dämpfen zu wollen: Bis dahin ist es ein weiter Weg«, räumt jedoch der Harzer Vizelandrat Martin Skiebe ein.
Dass die anstehende Veränderung der Energiesysteme sich auf den Bürger auswirken wird, macht Markus Speckmann vom IWES klar. Auch die Energienutzung müsse flexibler werden. Zum Beispiel indem man Haushaltstechnik vor allem in Zeiten hoher Stromerzeugung nutzt, was über gestaffelte Preise auch weniger kostet. Die Stromkunden könnten, um Geld zu sparen, ihre Spülmaschine per geschalteter Steckdose nachts anstellen, die Programmierung könnte sogar über das Smartphone erfolgen. Wissenschaftler und Praktiker meinen aber, dass es an Geräten, die solche intelligenten Lösungen bereitstellen, bisher fehle. Und wirklich lohnend ist es auch nicht: Speckmann schätzt das jährliche Ersparnis mit dieser Methode auf 50 Euro pro Haushalt. IWES-Ingenieur Stefan Funke bemerkt zudem, der Stromverbrauch der 46 Testhaushalte im Modellprojekt sei nicht gesunken, sondern leicht gestiegen, der Grund dafür soll jetzt analysiert werden.
Zukunftsfähig ja, umsetzbar noch nicht: Eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien sei ohne Ausbau der Netze nicht drin, weiß Spezialist Zbigniew Styczynski von der Magdeburger Universität, auch wenn sie im derzeitigen Rahmen »ziemlich gut funktionieren«. Bisher nehme noch die Zuverlässigkeit des Stromnetzes mit jeder Anlage, die Regenerativstrom erzeuge und einspeise, ab.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.