König von Flandern
Der Nationalist Bart De Wever triumphiert bei Kommunalwahlen in Belgien
Bart De Wever ist in seinem Element. Was das heißt? Einen Schritt zurück, zwei voraus. In der Stunde des Triumphs ist also zum einen Fair Play angesagt. De Wever dankt seinem Kontrahenten Patrick Janssens, dem bisherigen Bürgermeister von Antwerpen, und ruft seine Anhänger auf, nicht arrogant zu werden nach diesem Erdrutschsieg. Rund 38 Prozent hat seine Neue Flämische Allianz (N-VA) am Sonntag bei den belgischen Kommunalwahlen in der Hafenmetropole geholt, und damit zehn Prozent mehr als Janssens' gemeinsame Liste aus Sozial- und Christdemokraten. Der nüchterne De Wever wurde beinahe überschwänglich: »Da ist es schwierig, bescheiden zu bleiben.«
Andererseits gibt der Parteivorsitzende, mit gerade mal 41 Jahren längst die Galionsfigur der Nationalisten, Vollgas: Einen »Wendepunkt der Geschichte« nennt er das Ergebnis am Wahlabend vor seinen frenetischen Anhängern. Die N-VA, in ganz Flandern mit knapp 32 Prozent deutlich vor den zweitplatzierten Christdemokraten, sei »die neue Volkspartei Flanderns«. Und dann zündet er, beiläufig, wie es seine Art ist, dort auf dem Podium im Eventcenter Zuiderkroon am Schelde-Ufer noch einen Kracher: »Dies ist ein Aufruf an die frankofonen Politiker, ihre Verantwortung wahrzunehmen und gemeinsam mit uns die Konföderation vorzubereiten.«
Es sind die Dimensionen, die De Wever so deutlich werden lassen. Schon bald nach den ersten Ergebnissen benutzen belgische Medien das Bild einer Dampfwalze, um den Siegeszug der Nationalisten durch Flandern zu beschreiben. Der Vergleich passt, auch wenn De Wever, durch eine radikale Proteindiät in einem Jahr von 140 auf 80 Kilogramm abgemagert, optisch nicht mehr als Personifizierung dieses politischen Erdbebens daher kommt. Was die nationalistische Rhetorik betrifft, ist er unverändert adipös: »Dies ist ein schwarz-gelber Sonntag«, frohlockt er in Anspielung auf die Farben der flämischen Flagge.
Fazit: Der Plan ist aufgegangen. »Veränderung beginnt in Ihrer Gemeinde«, hatte die N-VA den Wählern seit dem Sommer eingehämmert. Die »Dorfstraße« entscheidet, und »Brüssel« solle sich erschrecken. Anders als diese Kampagne vermuten lässt, ist die N-VA bereits in Brüssel. Bei den Parlamentswahlen 2010 wurde sie im niederländischsprachigen Flandern die stärkste Partei. Nur das sich in der Regierung kein Platz für sie fand. Wer in den Parteistatuten offen ein »unabhängiges Flandern« anvisiert, findet im frankofonen Teil des Landes nur schwer einen Koalitionspartner.
So blieb die N-VA in ihrer Paraderolle: die oppositionelle Anwältin des flämischen Unbehagens, angesichts milliardenschwerer Ausgleichszahlungen in die deutlich ärmere frankofone Wallonie und immer vehementerer Forderungen nach Regionalisierung. »Konföderation« - diese Parole hatte De Wever schon vor drei Wochen ausgegeben, als der Wahlkampf in Antwerpen heiß zu werden begann. Auf der Theaterbühne der noblen Arensbergschouwburg machte er keinen Hehl daraus, dass seine Partei einen »Umschwung« im Auge habe und dass Antwerpen der Startschuss sein sollte.
Etwas bizarr wirkt es da, dass die Menschen am Sonntagnachmittag in Scharen aus den Wahllokalen strömen, wo sie ja eigentlich über Lokalpolitik abstimmen sollten. Mohamad Hirsi etwa, 25, geboren in Somalia, seit zehn Jahren in Belgien, hat soeben in seiner alten Schule hinter dem Bahnhof gewählt. Was ihn bewegt, sind Kriminalität und Integration, und darum hat er für Patrick Janssens, den Sozialdemokraten, gestimmt. Hirsi lebt gerne in Antwerpen. »Die Stadt gehört allen«, das ist offiziell der Wahlspruch des Antwerpener Citymarketings. Inoffiziell aber steht er für die Sozialdemokraten, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Rathaus regieren. Mohamad Hirsi sieht seine Stimme auch als Zeichen - »gegen diese zwei Parteien«. Wen er meint, ist deutlich: den rechtsextremen Vlaams Belang und eben De Wevers N-VA, die beide von einem unabhängigen Flandern träumen. Der postfaschistische Belang mit Wurzeln in der Naziszene bediente sich dazu früher krachender, heute vergleichsweise gemäßigter völkischer Rhetorik. Die N-VA, zweifellos demokratisch, hat nichts Völkisches. Sie fordert zwar strengere Migrationsregeln, aber formuliert dies wie die wirtschaftsliberalen Parteien in Deutschland oder den Niederlanden: weniger chancenarme Migranten!
Und wie fast alle belgischen Parteien hat auch die Antwerpener N-VA Kandidaten, deren Wiege nicht an der Schelde stand. Krishna Prasad Regmis Plakat hängt an einem asiatischen Supermarkt namens »Eurostar«, direkt am belebten De Coninckplein. Menschen wie Krishna Prasad Regmi, die der N-VA als Vorbilder gelungener Integration gelten, gibt es viele auf ihren Listen. Und dennoch basiert ihr steiler Aufstieg zum Großteil auf Vlaams-Belang-Wählern.
Nicht jedoch auf dem Publikum des »Leeuw van Vlaanderen«. Das muffige Café, benannt nach dem Löwen aus dem flämischen Wappen, ist das Hauptquartier der radikalen Separatisten. Ein paar von ihnen schnappen draußen frische Luft, während drinnen Grabesstille herrscht. Die ersten Ergebnisse aus Antwerpen laufen über den Bildschirm. Um die 20 Prozent verliert der Vlaams Belang. Später am Nachmittag wird eine belgische Zeitung schreiben, die N-VA habe den Vlaams Belang vollständig verspeist. Die Enttäuschten auf dem Bordstein haben durchaus Sympathien für das »flämische Gedankengut« der N-VA. Dennoch sehen sie Bart De Wever als Handlanger des Multikulturalismus. Und der, sagt ein jüngerer Nationalist und zitiert dabei Angela Merkel, ist schließlich »gescheitert«.
Und De Wever? Der grenzt sich an diesem, seinem Abend nach allen Richtungen ab. Den Spruch mit dem »Wendepunkt der Geschichte« erklärt er so: Sein Wahlsieg sei das Ende des »Sozialismus«, der seit dem Kriegsende im Rathaus regiert habe. Der konservative Historiker De Wever nennt die zahmen Sozialdemokraten gerne Sozialisten. Zugleich, sagt er, sei Antwerpen nach 20 Jahren als Hochburg des Vlaams Belang aber auch nicht mehr die »Wiege der Rechtsextremen«.
In den frankofonen Medien hat zu diesem Zeitpunkt schon das Echo auf De Wevers Rede eingesetzt. Noch vor den Ergebnissen aus Liège oder Charleroi vermelden sie, was der N-VA Chef in Richtung der wallonische Parteien sagte: Der Aufruf, gemeinsam die Konföderation vorzubereiten, schlägt große Wellen. Jenseits der Sprachgrenze scheinen die schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden, nachdem der französischsprachige Teil Belgiens wochenlang angespannt an die Schelde blickte.
»Und ihre Sorgen sind berechtigt«, sagt Mia Monden im Augenblick des Triumphs. »Die Wallonen profitieren nämlich nur, und wir zahlen für sie.« Ein Journalist aus Deutschland, denkt sie, sollte das wohl verstehen: »Was Transferzahlungen sind, wissen Sie ja.« Die pensionierte Lehrerin steht mitten in der Menge vor dem Stadthaus und ist »so froh wie noch nie«. Sie kandidierte im Distrikt Berchem für die N-VA, und während ihr Mann entrückt die gelbe Fahne mit dem schwarzen Löwen durch die Dunkelheit schwingt, fragt man sich, welche Fächer Monden wohl unterrichtete. Als sei es eine erbliche Krankheit, erzählt sie von Generationen fauler Frankofoner: »Der Großvater arbeitet nicht, der Vater arbeitet nicht, der Sohn arbeitet nicht. Wir dagegen sind harte Arbeiter.« Einmal in ihrem Element, geht sie der Sache auf den Grund: »Sie haben eine romanische Kultur, wir eine germanische. Das passt nicht zusammen«, sagt Frau Monden. Was dagegen zu tun ist, weiß sie auch: »Konföderation, das hat Bart auch gesagt.« Und wie ist das mit dem Auseinanderfallen des Landes, dann, wenn die Regionalisierung den gemeinsamen Staat genug ausgehöhlt hat? Frau Monden lacht. »Das muss möglich sein. Das ist das Ziel.« Ihr Mann wedelt noch immer mit dem Löwen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.