Hunger und Armut entzaubern Oz
Viele Australier müssen aus Geldmangel am Essen sparen / Kinder besonders betroffen von Mittellosigkeit
In vielen armen Familien in Australien ist Schmalhans Küchenmeister. Mindestens 45 000 Haushalte haben nicht das Geld für genügend Nahrungsmittel. In 22 000 Haushalten fallen an mindestens einem Tag pro Woche die Mahlzeiten ganz aus. Oft verzichten Eltern auf ihr tägliches Brot, um wenigstens ihren Kindern etwas zum Essen auf den Tisch stellen zu können. Dieses erschreckende Bild zeichnet ein am Dienstag veröffentlichter Bericht der anglikanischen Wohlfahrtsorganisation Anglicare.
Die niederschmetternde Bestandsaufnahme der sozialen Situation in einem der reichsten Länder der Welt bestätigt den Befund des »Australian Council of Social Service« (ACOSS). In der vor wenigen Tagen veröffentlichten Armutsbilanz des Dachverbands der weltlichen und kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen heißt es: Insgesamt 2,2 Millionen Australier leben unterhalb der Armutsgrenze. Das sind 12,8 Prozent der Bevölkerung von Oz, wie die Australier gerne ihren Kontinent in Anlehnung an das Zauberland in dem Kultfilm »Der Zauberer von Oz« nennen. Ein Land, in dem alle glücklich sind und in dem es an nichts fehlt.
Tatsächlich sind viele Australier märchenhaft reich, oder zumindest zauberhaft wohlhabend. Seit 21 Jahren genießt Australien ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum, dem selbst Lehmann-Pleite, Eurokrise und Haushaltsstreit in den USA kaum etwas anhaben konnten. Grund ist der immense Reichtum an Bodenschätzen wie Kohle, Erze und Uran. Diese Ressourcen finden im energiehungrigen China und im aufstrebenden Indien dankbare und zahlungskräftige Abnehmer.
Nur: An jenen 2,2 Millionen Australiern geht dieser Wohlstand vorbei. Und die sind daran selber Schuld, behauptet zumindest die Regierung. Die wird seit 2007 nicht mehr von der wirtschaftsfreundlichen und sozial konservativen Liberalen Partei und ihrem kleineren Partner, der Nationalen Partei, gestellt, sondern von der sozialdemokratischen Labor Partei.
Premierministerin Julia Gillard und ihr Schatzminister Wayne Swan halten die Armen weiterhin knapp. Gerade erst hat das Duo die Unterstützung für Alleinerziehende auf das Niveau des Arbeitslosengelds gekappt. Gillard ignoriert auch stur alle Rufe nach einer Erhöhung von finanziellen Hilfen für Arme. Dabei kommen solche Stimmen selbst aus Teilen der Wirtschaft. Grund für die soziale Kälte: Durch finanzielle Hilfen auf dem Niveau der Armutsgrenze sollen Arme und Arbeitslose »motiviert« werden, jeden Job anzunehmen, der sich ihnen bietet.
Von der Armut besonders betroffene Gruppen sind Rentner, alleinerziehende Eltern, Frauen, Einwanderer aus nicht-englischsprachigen Ländern und junge Menschen. 600 000 der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Aus-tralier sind Kinder. »Das ist in einem wohlhabenden Land wie Australien unentschuldbar«, sagt Cassandra Goldie, Geschäftsführer des ACOSS. Kinder sind auch diejenigen, die unter dem Hunger am meisten leiden. Kathy Chambers, Exekutivdirektorin von Anglicare, betont: »Hunger beeinträchtigt die Menschen in ihrem täglichen Leben. Erwachsenen fällt es schwer, zur Arbeit zu gehen, und die Kinder haben Probleme in der Schule.«
Unerwartete Ausgaben wie besonders hohe Stromrechnungen oder Mieterhöhungen schlagen bei Familien, die sowieso schon am Rande des Existenzminimums leben, direkt auf die Ernährung durch. Chambers weiß: »Ausgaben für Lebensmittel sind oft der einzige beeinflussbare Posten im wöchentlichen Budget.«
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