Auf die krumme Tour

Lance Armstrong werden alle sieben Siege bei der Tour de France aberkannt, geläutert ist der Profiradsport aber noch lange nicht

Es ging nicht mehr anders: Nachdem die US-Antidoping-Agentur USADA ihren 200-seitigen Bericht im Fall Lance Armstrong an den Radsportweltverband UCI übergeben hat, verkündete dieser gestern seine wenig überraschende Entscheidung: Die sieben Toursiege des Amerikaners werden gestrichen. Außerdem wird Armstrong lebenslang gesperrt.

Wenn es nach UCI-Präsident Patrick McQuaid geht, ist die Sache sonnenklar: »Lance Armstrong hat keinen Platz mehr im Radsport, er muss vergessen werden«, so formulierte es der Ire gestern auf der Pressekonferenz in Genf, wo die UCI die Anschuldigen der US-Dopingjäger vollumfänglich bestätigte. Dem 41-jährigen US-Profi Lance Armstrong werden alle Erfolge vom 1. August 1998 an aberkannt.

Wie künftig die Siegerlisten der dopingverseuchten Jahre aussehen werden, soll am Freitag auf einer außerordentlichen Sitzung beschlossen werden. Allerdings darf wohl mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Jan Ullrich nicht plötzlich als vierfacher Toursieger dastehen wird, ebenso wenig wohl Andreas Klöden als neuer Gesamtsieger der Tour 2004.

Auch eine mögliche Rückzahlung der Siegprämien wird im UCI-Verwaltungsausschuss diskutiert werden. Über die mögliche Aberkennung seiner Bronzemedaille bei den Olympischen Spiele von Sydney 2000 wird das IOC nach der Entscheidung der UCI befinden. Weltmeister 1993, das ist der einzige Profititel, der Lance Armstrong sicher bleiben wird.

»Mir wurde schlecht, als ich den Bericht der USADA gelesen habe«, erklärte Patrick McQuaid gestern in Genf. Der Bericht beschreibt anhand unzähliger Quellen, wie Armstrong und seine Helfer beim Team US Postal ihr Dopingnetzwerk betrieben. Der Fall Armstrong sei »die größte Krise, der sich der Radsport je habe stellen müssen«, so McQuaid.

Kein Gedanke an Rücktritt

Auch in dieser »größten Krise« lassen sich die Hauptfunktionsträger im Weltverband jedoch nicht zur Verantwortung ziehen. Präsident Patrick McQuaid beispielsweise schloss persönliche Konsequenzen aus. Er werde nicht zurücktreten. Der 63-Jährige ist seit 2005 Weltradsportpräsident, sein Vorgänger Hein Verbruggen hatte ihn bei dem Weg in dieses Amt massiv unterstützt. Beide sind IOC-Mitglieder.

In der Ära Verbruggen konnte Lance Armstrong nach seiner fabelhaften Wandlung vom Krebskranken zum unumschränkten Tourbeherrscher nach Belieben schalten und walten. Nach einem Bericht der »New York Daily News« soll Verbruggen 1999 gegen eine Zahlung von 500 000 Dollar einen positiven Dopingtest Armstrongs bei der Tour de Suisse verschleiert haben. Das Geld sei von Armstrongs Sponsor Nike gekommen. Verbruggen bestreitet dies, Nike ebenfalls.

Vor wenigen Tagen hatte Nike seinen Vertrag mit Lance Armstrong beendet. Man fühle sich »über Jahrzehnte getäuscht« von dem Texaner, dessen Krebsstiftung »Livestrong« der Sportartikelgigant lange unterstützt hatte. Fast zeitgleich war Lance Armstrong als Vorsitzender der Stiftung zurückgetreten, »um Schaden von Livestrong« abzuwenden, wie er zur Begründung sagte.

Nach dem dem Erscheinen des USADA-Berichtes darf aber keineswegs davon ausgegangen werden, dass Lance Armstrong bei seinen Comebackversuchen in den Jahren 2009 und 2010 auf komplett neue Art und Weise gearbeitet hat. Auch ist nach dem Bericht weder die These zu halten, dass es sich bei Lance Armstrong nur um einen bösen Einzeltäter gehandelt hat, noch der Gedanke, dass in dieser Ära wegen des weit verbreiteten Dopings so etwas wie Chancengleichheit im Profizirkus geherrscht habe.

Mauer des Schweigens

Dass schon morgen in Paris die Strecke der Tour de France 2013 vorgestellt wird, passt da ins Bild. Tourchef Christian Prudhomme kündigte an, von Armstrong sämtliche Preisgelder zurückzufordern. Insgesamt sollen das fast drei Millionen Euro sein.

Vom »professionellsten Dopingsystem, das der Sport je gesehen hat«, sprach noch einmal USADA-Chef Travis T. Tygart. »Die UCI hat die richtige Entscheidung gefällt«, erklärte Tygart am Montag. Er sei »erfreut, dass die UCI endlich ihren Kurs in dem Fall änderte und sich zu einer glaubwürdigen Entscheidung durchrang.« Dies sei ein »historischer Tag für den sauberen Sport« Tygart hat auch seine Vorstellungen, wie man dem Dopingproblem im Radsport begegnen müsse: Er fordert eine unabhängige Kommission, um »den vielen Dopingärzte und korrupten Teamchefs« auf die Schliche zu kommen. Es gebe im Radsport noch immer eine »Omertà«, eine Mauer des Schweigens. Die Geschichte des Lance Armstrong darf keineswegs dem Vergessen anheim fallen.

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