Wie wird aus einem Luftballon ein Würfel?

Linksabgeordneter will Geheimdienst reformieren - NSU-Untersuchern rennt die Zeit weg

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Knapp ein Jahr nach dem Auffliegen der Mörderzelle des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) ist eines sicher: Die Anzahl der Fragen zum Versagen der Behörden wächst ebenso wie der Bedarf, über Sicherheitsalternativen zu streiten.

Die Zeit für gründliche Aufarbeitung all jener Fehler, die sich vor allem der Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus geleistet hat, wird für den Bundestagsuntersuchungsausschuss knapp. Zwar ist dessen »Fahrplan« bis zum Jahresende klar, doch dann bleiben ihm vermutlich nur noch drei Monate, um den Berg offener Fragen abzutragen.

Da es im Herbst 2013 Wahlen gibt, muss man den Abschlussbericht (samt Minderheitenvoten) im April schreiben, damit alles noch vor der Sommerpause ins Parlamentsplenum gelangt. Denkbar wäre es jedoch auch, dass der Ausschuss dem neu zu wählenden 18. Bundestag empfiehlt, abermals einen NSU-Ausschuss einzusetzen. In der Geschichte des Parlaments gab es zwei derartige Stafettenentscheidungen.

Die Debatte über eine neue Sicherheits- und Präventionsarchitektur hat Gründlichkeit verdient. Nicht einmal die Linkspartei, der man gewiss geheimdienstkritischstes Denken unterstellen darf, bleibt da Streit erspart. Zu Wochenbeginn hat der parteilose Linksabgeordnete Wolfgang Neškovic ein elfseitiges Papier vorgelegt und damit den Rest der Fraktion - gelinde gesagt - erstaunt.

Der Ex-Richter ist Mitglied im geheimen Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages, das die Geheimdienste beaufsichtigen soll, aber nicht kann. Er müsste eigentlich wissen, wie den Kontrolleuren, die ja gar nicht wissen können, was sie kontrollieren müssten, zusätzlich die Hände gebunden und der Mund verklebt wird.

Laut Programm will die LINKE alle Geheimdienste abschaffen. Eine Vision, manche nenne das auch Utopie. Doch der Utopie setzt Neškovic quasi das Unmögliche voran. Er macht aus einem Luftballon einen Würfel, will den Verfassungsschutz umfassend reformieren, das Bundesamt dabei zu einer Art Supergeheimdienst ausbauen und an der nachrichtendienstlichen Grundorientierung festhalten. Nur V-Leute hält er für entbehrlich. Stattdessen registriert er kritiklos, dass der Gabentisch staatlicher Überwachung reichlich gedeckt ist - mit Observation, Onlinedurchsuchungen, Videoüberwachungen.

Aufrüstung der Rechtsblinden? Mehr Vertrauen für Versager? Fragen, die kein Konzept ersetzen. Um Ansätze für ein solches Geheimdienstkonzept hat sich Linksfraktionskollege Jan Korte bereits im Juli bemüht, als er Ideen zur schrittweisen Abschaffung des Verfassungsschutzes zur Diskussion stellte. Geheimdienste, so die Quintessenz, seien ein Fremdkörper in jeder Demokratie, sie entziehen sich naturgemäß den Geboten der Transparenz sowie der parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle.

Partei und Fraktion werden sich Mitte November in einem Expertengespräch und im Dezember in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung dem Thema stellen.

Derweil rennt dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Zeit davon. Sogar im Kleinen. Für heute haben die Untersucher vier Zeugen benannt. Und sich damit auch Unmögliches aufgebürdet. Noch nie hat man - selbst bei Beratungen über Mitternacht hinaus - mehr als drei Zeugen »geschafft«. Zudem sind für heute im Plenum sechs namentliche Abstimmungen beantragt, die Befragungszeit kosten. Auch will man sich mit dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer unterhalten. Der hatte bereits im Auftrag des Thüringer Freistaats den Zusammenhang zwischen Landesverfassungsschutz und NSU durchleuchtet, nun soll er als Ermittlungsbeauftragter in Berlin die von Thüringen an den Bundestag gelieferten Akten vorsortieren.

Am Freitag will der Ausschuss in geheimer Sitzung noch einmal jenen vom Bundesinnenminister eingesetzten Beamten vernehmen, der aufklären sollte, wer im Bundessamt für Verfassungsschutz warum noch bis zum Sommer 2012 - also sieben Monate nach dem Auffliegen der NSU-Bande - Akten zur rechtsextremistischen Szene vernichtet hat. Wie bei fast allen Details, die sich die Parlamentarier anschauen, kamen auch hier Tatsachen zum Vorschein, die nicht für professionelle Aufklärungsabsichten sprechen. Beispiel: Nachdem die männlichen Mitglieder der NSU-Zelle, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, am 4. November 2011 in Eisenach leblos in ihrem Wohnmobil aufgefunden wurden, waren die Ermittler rasch sicher, nun die Serienmorde an acht türkischen Händlern und einem Griechen sowie die Ermordung der Polizistin Michele Kiesewetter aufklären zu können. Das Innenministerium in Berlin wies seine Untergebenen an, alle zweckdienlichen Akten und Daten für den Generalbundesanwalt zusammenzutragen.

Gesammelt wurden anfangs nur Akten, in denen die Namen Mundlos, Böhnhardt und der von Beate Zschäpe notiert waren. Erst später kam man auf die Idee, sich um Unterstützer zu kümmern. Nach Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan oder Blood&Honour suchte man gar nicht. Unfassbar, schon weil den Diensten bereits Anfang 1998 die Telefonliste von Mundlos in die Hände gefallen war. Simple Namensabgleiche hätten jede Menge Treffer gebracht und Rechercheansätze ergeben. Möglicherweise auch in Akten, die inzwischen der Schredder gefressen hat.

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