Integration auf dem Bolzplatz
Mädchen aus Migrantenfamilien für Sportvereine zu gewinnen ist oft schwierig - Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz
Mainz/Koblenz. Ob Schwimmen oder Fußball, viele Sportvereine in Rheinland-Pfalz sprechen mittlerweile gezielt Menschen mit Migrationshintergrund an, vor allem Muslime. Dabei geht es um spezielle Angebote für diese Zielgruppe oder die Teilnahme in herkömmlichen gemischten Abteilungen. Vielerorts wurden positive Erfahrungen gemacht, wie eine dpa-Umfrage ergab. Ungeachtet dessen gibt es aber auch Nachholbedarf etwa bei Angeboten für muslimische Mädchen. Der Landessportbund (LSB) Rheinland-Pfalz sieht noch Aufklärungsbedarf in Clubs.
Kopftücher für Fußball
Grundsätzlich begegneten sich Menschen auf Augenhöhe, wenn nicht die Frage nach der Herkunft, sondern ein gemeinsames Ziel und die gemeinsame Leistung im Vordergrund stünden, sagt der Beauftragte der rot-grünen Landesregierung für Migration und Integration, Miguel Vicente. »Auf dem Sportplatz ist das Tag für Tag der Fall.« Insofern habe der Sport eine sehr große Bedeutung für die Integrationsarbeit vor Ort.
Für besonders wünschenswert hält Vicente Sportangebote für Mädchen. »Denn wir wissen, dass Mädchen mit Migrationshintergrund in der Regel weniger Sport machen, als ihre Altersgenossinnen ohne Migrationshintergrund.« Integration durch Sport funktioniere, und daran sollten auch junge Mädchen teilhaben können.
Der LSB in Mainz sieht Aufklärungsbedarf in Vereinen beim Umgang mit muslimischen Mädchen und traditionell orientierten Familien, aber auch bei ganz praktischen Fragen. Da gehe es etwa um für den Fußball geeignete Kopftücher oder Schwimmkleidung, die mit der Religion und den Regeln lokaler Bäder vereinbar sei.
Um Mädchen aus traditionell orientierten islamischen Familien zum Sport zu locken, unterstützt der Verband seit Dezember 2011 die Zusammenarbeit von Vereinen, islamischen Organisationen und Jugendhilfe. »Das tun wir, weil nachweislich nur sehr wenige dieser Mädchen in den Vereinen mitmachen«, sagt Ohle Wrogemann von der Sportjugend des LSB. »Wir wollen die Mädchen ermuntern, bestehende Angebote wahrzunehmen.«
Die Vorstellung einiger, dass Töchter islamisch orientierter Eltern ohnehin nirgendwo mitmachen dürften, hält Wrogemann für ein haltloses Vorurteil. Aus dem Sportangebot des Mainzer Jugendamts in der stark türkisch geprägten Neustadt sei etwa ein neuer Verein hervorgegangen - der SV Goethe Mainz. Streetworker holten hier junge Leute unterschiedlicher Herkunft in ein Sportprojekt, darunter auch muslimische Mädchen. Weitere Beispiele für eine gute Zusammenarbeit seien der Mainzer Verein Fontana Finthen, der 2011 den Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erhielt, oder der 1. FFC Montabaur.
Schule als Vermittler
Letzterer wurde im Jahr 2005 von Alfred Müllers als erster ausschließlicher Frauenfußball-Club in Rheinland-Pfalz gegründet und spricht seit Jahren gezielt über die Schulen auch Mädchen aus anderen Kulturkreisen an. Schon früh habe der Verein dabei die zahlreichen muslimischen Familien im Raum Montabaur im Auge gehabt. »Viele Vereine klagen, wie sie an Mädchen herankommen sollen. Das brauchen wir nicht mehr, die Eltern rufen uns mittlerweile an«, sagt Müllers. Der Schlüssel zum Erfolg war seiner Meinung nach der Weg über die Schulen. »Mir war bewusst: Wenn wir hier Fuß fassen wollen, kann das nur über die Schule gehen.« Angefangen habe es mit einer Fußball-AG an einer Schule in Selters, weitere Schulen hätten dann nachgezogen. Solchen Schulangeboten stünden muslimische Eltern positiv gegenüber, sagt Müllers. »Sie sehen die Schule als eine Institution an und denken: Da können wir unsere Mädchen ruhig hinschicken.«
All das habe dazu beigetragen, Parallelgesellschaften aufzubrechen, sagt Müllers. Mittlerweile unterstützten sich zahlreiche Eltern über Kulturgrenzen hinweg gegenseitig bei der Finanzierung von Vereinsfahrten. Den Mädchen gebe der sportliche Erfolg eine Menge Selbstvertrauen - und die erste Mannschaft des 1. FFC spielt inzwischen immerhin in der Regionalliga.
In Koblenz bietet die Coblenzer Turngesellschaft seit 2002 eine spezielle Schwimmstunde für muslimische Frauen und Kinder an. »Das ist in einem extra geschlossenen Bad, wo man von außen nicht hineinschauen kann«, sagt die Leiterin der Vereinsgeschäftsstelle, Gabriele Wagner. Der Verein habe damit sehr positive Erfahrungen gemacht, mittlerweile hat etwa ein Drittel der rund 1800 Mitglieder einen Migrationshintergrund. Es gebe inzwischen auch in anderen Abteilungen muslimische Übungsleiter, was Sprachbarrieren überwinden helfe.
Im Nachbarland Hessen hatte zuletzt der sogenannte »Burkini«-Streit« für Schlagzeilen gesorgt. Ende September war eine Schülerin aus Frankfurt am Main vor dem Hessischen Verfassungsgerichtshof mit der Forderung gescheitert, aus religiösen Gründen vom koedukativen Schwimmunterricht befreit zu werden. Nun muss sich möglicherweise bald das Bundesverwaltungsgericht damit auseinandersetzen.
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