Kleine Leckerei mit Weltruhm
Die belgische Praline wird 100
Unter der weißen Kochmütze bilden sich Schweißperlen auf der Stirn von Olivier Demol. Mit einem Plastikschaber rührt er in einem großen Bottich voll flüssiger Schokolade. Dann tunkt er gefüllte Krokantröllchen hinein und umhüllt sie mit der duftenden Masse. Demol ist Maître Chocolatier beim Pralinen-Hersteller Neuhaus. Der belgische Verband Choprabisco, der die Süßwarenindustrie vertritt, datiert die Geburtsstunde der Praline auf das Jahr 1912. Damals füllte Jean Neuhaus im Keller seiner Apotheke in Brüssel eine Creme in eine Hülle aus Schokolade und erfand damit die belgische Praline.
100 Jahre später hat sich die Schokoladenkunst zu einem Markenzeichen Belgiens entwickelt. Im Zentrum von Brüssel reihen sich zahlreiche Pralinenläden aneinander, darunter große Hersteller wie Godiva oder Leonidas und kleinere Chocolatiers. Auch einer der momentanen Stars der Szene kommt aus Belgien: Die Luxus-Pralinen von Pierre Marcolini sind auch in Kuwait oder Japan gefragt.
Demol entwickelt etwa 100 neue Pralinen pro Jahr. Davon schaffen es zwischen fünf und zehn auf den Markt. »Wir arbeiten bis zu sechs Monate daran, verändern die Aromen oder ihre Zusammensetzung«, erklärt er. Schokolade ist Demols Leidenschaft. »Ich träume sogar von Rezepten. Ich bin ein Schokoholic.«
300 Millionen Pralinen liefert Neuhaus jedes Jahr in 50 Länder in aller Welt. In der großen Produktionshalle des Unternehmens am Stadtrand von Brüssel brummen die Maschinen, es duftet nach Schokolade, Nüssen und Nougat. Im ersten Stock rühren Chocolatiers die Füllungen für die Pralinen an, die über große Förderbänder nach unten transportiert werden.
Jede Praline hat ihren eigenen Herstellungsprozess: Für die Manon Sucre - die einzige Neuhaus-Praline ohne Schokolade - wird zunächst der Kern aus Buttercreme hergestellt und dann mit einer Zuckermasse umhüllt. Für andere Pralinen werden Schokoladenformen gegossen, mit einer Creme, Nüssen oder anderen Zutaten gefüllt und wieder verschlossen. Zwischen den einzelnen Produktionsschritten werden die Pralinen heruntergekühlt und durchgerüttelt, um die Masse gleichmäßig zu verteilen und Luftblasen zu vermeiden.
Nach Angaben des Verbands Choprabisco werden in der Pralinen- und Schokoladenindustrie Belgiens jährlich 4,1 Milliarden Euro umgesetzt. Fast 50 000 Tonnen Pralinen exportierte das kleine Land 2011. »Als Belgier müssen wir stolz auf unsere Schokolade sein«, sagt Peggy van Lierde, die Direktorin des Brüsseler Schokoladen-Museums. Gründe für den Erfolg sind ihrer Meinung nach das Know-how der Pralinenmacher, die hochwertigen Zutaten und die traditionelle Herstellung. »Der Feinschliff erfolgt immer noch per Hand, das ist sehr wichtig.«
Der Chocolatier Laurent Gerbaud hat einen kleinen Laden im Zentrum Brüssels. Dort stellt er seine Pralinen täglich frisch her. Das Besondere: Gerbaud verwendet nur wenig Zucker und keine Zusatzstoffe. Seine Spezialität sind mit dunkler Schokolade umhüllte Früchte. Er verwendet auch ausgefallenere Zutaten wie Physalis, Preiselbeeren, Ingwer oder Chilli. »Es hängt alles von den Zutaten ab«, sagt Gerbaud. »Verpackung, Präsentation, alles Blabla. Man braucht nur gute Schokolade und gute Früchte.«
Bei Neuhaus hat jede der 80 Pralinen eine Geschichte. Die »Tentation« (Versuchung) wurde für die Weltausstellung in Brüssel 1958 kreiert, die »Albert« zur Hochzeit des belgischen Prinzen 1959. »Wir haben viele alte Rezepte, nach denen wir unsere Pralinen herstellen«, sagt Demol. Einige haben sich seit 75 Jahren nicht verändert. Maschinen helfen inzwischen bei der Herstellung, aber vieles wird immer noch von Hand gemacht. »Die Basis ist die gleiche geblieben«, erklärt Chef Jos Linkens. »Wir haben nur den Prozess verbessert.«
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