Kungelei vor Gericht
Verfassungsrichter und führende Juristen sehen »Deals« im Strafprozess skeptisch
In einer Verhandlungspause tritt der Vorsitzende Richter an die Angeklagten heran und bietet ihnen zwei Jahre mit Bewährung an, wenn sie die Taten gestehen. Andernfalls, so soll der Richter am Landgericht Berlin gesagt haben, drohten ihnen vier Jahre Haft. Die beiden Angeklagten willigen ein und erklären zurück im Gerichtssaal sodann vorbehaltlos, alles, was in der Anklageschrift stehe, treffe zu. Der Richter verhängt die vereinbarte Bewährungsstrafe und schickt die anwesenden Zeugen nach Hause. Ein kurzer Prozess.
Doch später widerrufen die beiden Verurteilten ihre Geständnisse. Die angedrohten Gefängnisjahre hätten sie unter Druck gesetzt. In Wahrheit sei es ganz anders gewesen. Dieser sowie zwei ähnlich gelagerte Fälle bildeten die Basis, auf der vor dem Bundesverfassungsgericht am Mittwoch die Frage erörtert wurde, ob überhaupt oder unter welchen Bedingungen Absprachen zwischen Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern im Strafprozess zulässig sind. Bei der Anhörung wurde deutliche Skepsis hörbar gegenüber solchen »Deals mit der Wahrheit«.
Absprachen im Strafprozess sind seit vielen Jahren umstritten, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde diese Rechtspraxis durch spektakuläre Prozesse gegen Spitzenmanager wie Josef Ackermann, Peter Hartz und Klaus Zumwinkel, die sich von drohenden Haftstrafen durch einen Deal freikaufen konnten. Die milden Urteile waren hinter verschlossenen Türen ausgekungelt worden.
Kritiker meinen, dass das Aushandeln von Strafe gegen das Kernprinzip des Rechtsstaats verstößt, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien. Denn insbesondere komplexe Verfahren, wie es bei Wirtschaftskriminalität üblicherweise der Fall ist, profitierten von der Überlastung der Gerichte und deren Wunsch, die Sache abzukürzen. Der einfache Ladendieb kommt dagegen nicht billiger davon. Ihm fehlt schlicht die Verhandlungsmasse.
Der Präsident des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf, monierte in der Verhandlung, dass bei solchen Verständigungen in der Regel zu milde und damit »schuldunangemessene« Strafen verhängt würden. In bis zu einem Drittel aller Strafverfahren soll es zu Absprachen kommen. Tolksdorf zeigte sich »sehr skeptisch«, dass sie in das Rechtssystem eingepasst werden könnten.
2009 hat die schwarz-gelbe Koalition die verbreitete Praxis legalisiert. Mit den gesetzlichen Vorgaben sollte dem »Wildwuchs« Grenzen gesetzt werden, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in Karlsruhe erklärte. Das Gesetz verpflichtet die Richter zu Transparenz bei den Absprachen und dazu, die Fälle lückenlos aufzuklären. Nur: Viele Richter halten sich nicht daran. Sie begnügen sich mit dünnen Geständnissen, verzichten auf eine abschließende Beweisaufnahme, schließen die Berufungsmöglichkeit aus - nur wenige Deals werden von einem Revisionsgericht überprüft.
In einer Umfrage im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts räumen fast 60 Prozent der befragten Richter ein, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen weiterhin informell zu treffen, was kritische Fragen des Gerichts provozierte: »Müsste das nicht eigentlich illegale Verständigung heißen?«, fragte Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff. Auch Geständnisse werden der Umfrage zufolge oftmals nicht mehr genau auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft.
Generalbundesanwalt Harald Range ist angesichts solcher Erfahrungen besorgt »um die Wahrheitserforschung«. Er beklagte zudem Druck auf die Staatsanwaltschaft, einer Verständigung zuzustimmen. Range fordert für die Zukunft eine deutlich »restriktivere Anwendung« der Vorschriften. Dabei soll es nicht ausreichen, wenn der Angeklagte lediglich ein »formales« Geständnis abgibt - also nur pauschal einräumt, dass die Anklage zutreffe.
Ein Urteil wird in ein paar Monaten erwartet. Die Verfassungshüter müssen nun entscheiden, ob und in welchen Grenzen Urteilsabsprachen zulässig sind und welche Vorgaben Strafrichtern zu Transparenz und Kontrolle gemacht werden müssen.
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