Für ein anderes Europa
»Florenz 10 + 10«: Vier Tage Seminare, Debatten und Kultur
»Wir wollen von hier aus Impulse setzen, ein anderes Europa zu schaffen, wir sind stark genug, uns auf einen langen Weg zu machen, um unsere Ziele zu realisieren.« Mit diesen Worten eröffnete Tommaso Fattori vom Organisationskomitee »Firenze 10+10« am Donnerstagvormittag die Konferenz in der Arnometropole. Zehn Jahre nach dem ersten Europäischen Sozialforum in Florenz haben sich die Aktivisten der Basisdemokratie wieder am Versammlungsort eingefunden. Wo damals 40 000 Teilnehmer gegen den bevorstehenden Irakkrieg, gegen kapitalistische Globalisierung, neoliberale Wirtschaftspolitik, für eine sozial gerechte und umweltverträgliche Gesellschaft diskutierten, versammeln sich am diesem Wochenende nur etwa 3000 Delegierte aus 21 Ländern.
Worum es ihnen geht, machte Fattori zur Eröffnung des Treffens im Teatrino Lorenese deutlich: »Wir haben in diesen zehn Jahren erfahren, dass die führenden Banken und Wirtschaftszentren die Welt in eine nicht enden wollende Krise gestürzt haben.« Aus der Schieflage einiger Banken und der Privatverschuldung vieler Menschen sei eine öffentliche Verschuldung und eine schwere Finanzkrise entstanden. Sowohl die US- als auch die Administrationen der europäischen Staaten versuchen, diese Krise mit drastischem Sparkurs, mit der Privatisierung von Staatseigentum, mit Steuererhöhungen und Fiskalpakten zu bekämpfen, um die Finanzwirtschaft auf Kosten von Sozialabbau, zunehmender Verarmung der Bevölkerung und der Zerstörung der Umwelt zu retten.
Demgegenüber, so Fattori, will das Sozialforum konkrete Maßnahmen entwickeln, von »Florenz 10 + 10« sollen Signale ausgehen und koordinierter Protest organisiert werden.
Wenngleich am ersten Tag des Forums das Straßenbild von Florenz noch nicht vom Bild der erwarteten 3000 Aktivisten beherrscht wird, so ist doch etwas vom Geist des Sozialforums von vor zehn Jahren zu spüren. Busse und Bahnen der städtischen Nahverkehrsbetriebe sind mit Losungen und den regenbogenfarbenen Pace-Fahnen geschmückt. Nach und nach treffen die Delegierten der 215 Organisationen, Assoziationen, Gewerkschaftsverbände, Schüler- und Studentengruppen, Arbeitsloseninitiativen, Umweltschutzverbände ganz Europa und weiteren Ländern am Tagungsort in der Fortezza da Basso ein.
3000 Teilnehmer, 215 Gruppen, 21 Länder
Auf dem Gelände der früheren Medici-Festung - schon lange als Ausstellungs-, Messe- und Kongresszentrum genutzt - reihen sich die Informationsstände der teilnehmenden Organisationen. Aktivisten der No-TAV-Bewegung gegen eine Schnellbahnstrecke durch das Susa-Tal in Norditalien sind genauso vertreten wie die antikapitalistischen Bündnisse Blockupy und Agora99. Aus Spanien sind auch Aktivisten der M15-Bewegung, aus Deutschland Beteiligte von Occupy Frankfurt angereist.
Auch Organisatoren des Weltsozialforums, das im Führjahr in Tunis stattfinden wird, sind vertreten. In Vorbereitung auf dieses nächste große Treffen der Sozialforumsbewegung berichten junge Tunesier und Algerier von ihren Erfahrungen mit dem »arabischen Frühling« und stellen ihre Programme und Forderungen vor. Aber auch die ganz zeitnahen Termine, wie der europäische Aktionstag am 14. November mit Generalstreiks und Protesten in mehreren Ländern, werden eine Rolle spielen.
Schon am Nachmittag des ersten Tages in Florenz finden Seminare in den Räumen des Kongresszentrums in der Festung statt. Bis Sonntag sollen hier Fragen zur Demokratie in Europa, zu Schuldenkrise und Sparmaßnahmen, zu natürlichen und sozialen Gemeingütern, zu Arbeit und sozialen Rechten, zur Lage Europas, des mediterranen Raumes und der Welt sowie vor allem zu gemeinsamen, koordinierten Aktionen der Teilnehmerverbände besprochen werden. 102 Seminare in nur vier Tagen - ein Mammutprogramm, dass wenig Zeit lässt für Reminiszenzen an die »großen Momente der Demokratiebewegung vor zehn Jahren«, wie die Organisatoren leicht schmunzelnd einräumen.
Parallel zu den Diskussionsforen soll »Florenz 10 + 10« vor allem auch eine Begegnungsstätte der Aktivisten sein. Theatervorstellungen, Filmvorführungen sowie musikalische Darbietungen werden den Teilnehmern Gelegenheit geben, einander kennenzulernen und neue Bündnisse schmieden zu können. Dies, so ist von vielen Seiten zu hören, sei für die angereisten Gruppen und Organisationen das eigentliche Ziel des Treffens in der Toskana.
Am ersten Abend gab es ein Konzert in der Pulverkammer der Festung, ein Theaterstück und im Kinosaal wurde der Film »Black Block« von Carlo A. Bachschmidt aufgeführt. Ein Streifen, der den brutalen der italienischen Polizei auf die Schule »Antonio Diaz« beim G8-Gipfel 2001 in Genua ins Gedächtnis ruft. Bachschmidt gehörte damals zu den Organisatoren des Protestes der Globalisierungskritiker und ist auch heute in Florenz dabei.
Widerstand gegen die Mächtigen organisieren
Dass es zur Abschlusskundgebung auf der Piazza del Carmine am Samstagnachmittag zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird, davon gehen die Teilnehmer von »Florenz 10 + 10« aus. Auf dem kleinen Platz am anderen Arnoufer werden nicht die eine Million Demonstranten erwartet, die vor zehn Jahren friedlich durch Florenz zogen, um gegen den drohenden Irakkrieg zu protestieren. Doch auch einige Tausend Demonstranten wollen logistisch betreut sein. Der Florentiner Präfekt Luigi Varatta zeigte sich zufrieden mit dem Organisationsstand. Seit Monaten habe man gemeinsam mit Region, Provinz, der Stadt und den Organisatoren das Ereignis vorbereitet.
Die örtliche Polizei, Zivilschutz und Einsatzkräfte des Innenministeriums werden für einen reibungslosen logistischen Ablauf des Treffens und der Kundgebung auf der Piazza del Carmine sorgen, so Varatta.
»Vor zehn Jahren haben einige Medien geschrieben: Vorsicht, die Demonstranten verwüsten die Stadt«, erklärt Tommaso Fattori, »doch es waren die Mächtigen, die die soziale Umwelt, die Demokratie verwüstet haben. Dagegen wollen wir uns wehren.«
»Florenz 10 + 10 ist ein Experiment, das sich auf frühere Erfahrungen und Prozesse gründet: ein Raum, in dem man auf aktionsorientierte Weise alte Verbindungen wiederherstellen kann«, schreibt Tommaso Fattori. Er ist ein italienischer Aktivist gegen Privatisierung und Mitglied des Organisationskomitees für Florenz 10 + 10.
www.firenze1010.eu
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