Vom Verhalten zum Gen
Modell Buntbarsch: Wie sich in der Evolution körperliche Merkmale herausbilden
Die Buntbarsche (Cichlidae) zählen zu den artenreichsten Familien im Tierreich. Ursprünglich lebten die Fische im Meerwasser, passten sich dann aber den Umweltbedingungen im Süßwasser an. Das wiederum taten sie so erfolgreich, dass in einigen ostafrikanischen Seen in relativ kurzer Zeit Hunderte von neuen Arten entstanden sind. Evolutionsforscher sehen in den Buntbarschen deshalb ein natürliches Modell, das geeignet ist, die Mechanismen der biologischen Artbildung genauer zu studieren.
Ein besonders eindrucksvolles Studienobjekt ist der nur im Tanganjikasee beheimatete Buntbarsch Perissodus microlepis, der sich von Schuppen ernährt. Zu diesem Zweck schwimmt er von hinten an andere Fische heran und reißt diesen die begehrten Schuppen aus der Seite. Das Maul des Buntbarschs scheint für einen solchen Angriff wie geschaffen, denn es ist seitlich entweder nach links oder rechts verschoben. Bislang war unter Biologen die Auffassung verbreitet, dass diese Asymmetrie auf genetische Faktoren zurückzuführen sei. Folglich müsste ein Buntbarsch seine Beute immer an der Seite angreifen, die zu seiner vorgegebenen Maulform passt.
Ob und wie weit diese Erklärung zutrifft, hat eine Forschergruppe um den Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz jetzt genauer überprüft - und festgestellt: Ein »Rechts-oder-Links-Gen«, das die Form des Mauls bei Perissodus microlepis von vornherein festlegt, gibt es nicht. Vielmehr resultiert die Maulform des Fisches aus dessen jeweiligen Jagdvorlieben. Für ihre Studie, die in den »Proceedings B« der britischen Royal Society (DOI: 10.1098/ rspb.2012.2082) veröffentlicht wurde, haben die Konstanzer Forscher die Ausprägung des Mauls bei 287 erwachsenen Exemplaren sowie bei 65 Jungfischen der Art Perissodus microlepis untersucht. »In sämtlichen natürlichen Populationen fanden wir eine ziemlich exakte Gleichverteilung von links- und rechtsmäuligen Fischen«, sagt Meyers Kollege Henrik Kusche. Außerdem waren die Übergänge von einer Maulform zur anderen fließend und nicht so klar ausgeprägt, wie man das bei einer genetischen Determination erwarten würde, gegen die auch folgende Tatsachen sprechen: Bei den in Konstanz im Aquarium aufgezogenen Jungfischen fiel die Maulorientierung weniger prägnant aus. Und bei rund einem Drittel der Jungtiere waren die Mäuler sogar symmetrisch.
In der Natur hingegen kommen immer beide Maulformen vor, und zwar ungefähr im gleichen Verhältnis. Warum das so ist, kann man aus Sicht der Evolution leicht erklären: Ergibt sich beispielsweise zufällig eine Überzahl von Buntbarschen mit linksseitigem Maul, achten die Beutetiere mehr auf Angreifer von dieser Seite. Das jedoch verschafft den rechtsmäuligen Konkurrenten Jagdvorteile. Diese vermehren sich deshalb in der Folge rascher und gleichen so das entstandene Ungleichgewicht wieder aus.
Die Morphologie des Kopfes von Perissodus microlepis wird also nicht nur genetisch festgelegt, sondern folgt teilweise auch dem Jagdverhalten der Fische. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass aufgrund dieses Verhaltens in der linken bzw. rechten Gehirnhälfte der Fische je nach Maulform nachträglich einige Gene aktiviert werden, die man in Konstanz derzeit zu identifizieren sucht. Darüber hinaus wollen Meyer und seine Kollegen die körperliche Asymmetrie der Buntbarsche als Modell nutzen, um zu ergründen, wie sich die evolutionäre Entwicklung der Rechts- und Linkshändigkeit vollzogen hat.
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