Reise zu den Wurzeln

Der Musiker Itamar Doari tritt in Halberstadt auf - am Jahrestag der Deportation seiner Urgroßmutter

  • Uwe Kraus, Halberstadt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Perkussionist Itamar Doari gilt als hervorragender Musiker. Wenn er am 23. November in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) zusammen mit Kollegen ein Jazzkonzert gibt, tut er das jedoch nicht nur um der Musik willen. An jenem 23. November vor genau 60 Jahren wurde aus Halberstadt Doaris Urgroßmutter von den Nazis deportiert.

Im Harzer Städtebundtheater Halberstadt ist ein ganz besonders Jazzkonzert zu erleben: Auf Initiative der Halberstädter Moses Mendelssohn Akademie werden am 23. November der bekannte Perkussionist Itamar Doari und seine Kollegen Avishai Cohen (Trumpet), Itamar Erez (Gitarre) und Yoni Etzion (Cello) auftreten. Mit diesem Konzert wird der Deportation von vierzig Bewohnern des jüdischen Altersheims von Halberstadt nach Theresienstadt am 23. November 1942 gedacht. Unter den Deportierten war Thekla Ebstein - Itamar Doari ist ihr Urenkel.

Endstation Theresienstadt

Bereits am 12. April 1942 waren vom Domplatz aus die »arbeitsfähigen« Juden ins Warschauer Ghetto deportiert worden, danach verlieren sich die Spuren. Über die Deportation vom 23. November 1942 liegt der Bericht von Adolf Calm vor, der als Sohn aus einer »privilegierten Mischehe« überlebt hatte: »… Seit dem 12.04.1942, an dem alle Juden unter 60 Jahren nach dem Osten verfrachtet wurden, ohne jede Verbindung mit der Außenwelt, wuchs die Angst und die Verzweiflung der Zurückgebliebenen von Tag zu Tag. Es gab nur noch endlos öde Tage und endlose schlaflose Nächte und tief im Herzen doch noch immer die Hoffnung, daß sich ein Wunder ereignen möge. Noch gab es einen Betraum.«

Doch in den ersten Novembertagen, schreibt Calm, »kamen böse Nachrichten aus anderen Städten Mitteldeutschlands von Deportationen, und nun hatte die Verzweiflung keine Grenzen. Um 5 Uhr morgens am 23.11.1942 fiel der Schlag. Bei strömendem Regen erschienen große Möbelwagen vor den Häusern, in denen die Reste der jüdischen Gemeinde - 40 Mitglieder - zusammengepfropft waren, und ein Aufgebot von Polizisten drängte die Männer und Frauen in die Wagen. Viele waren zwischen 70 und 80 Jahre alt, manche mußten getragen werden. Ihre Endstation war das Ghetto Theresienstadt.«

Thekla Ebstein war die Witwe des 1929 verstorbenen Konfektionshändlers Adolf Ebstein. Ihre letzte Adresse in Halberstadt war das jüdische Altersheim. Das galt als »Judenhaus«. Diese Häuser bedeuteten eine Konzentrierung der Juden vor der Deportation in die Konzentrationslager und erlaubten den Behörden die Kontrolle mittels Ausgangssperren, über Lebensmittelscheine und Kontakte. Thekla und Adolf Eb-stein hatten drei Söhne. Einer von ihnen war Hermann. Von 1919 bis 1926 studierte er in Göttingen Jura und Soziologie. Später fand er aufgrund des NS-Gesetzes »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« keine Anstellung im öffentlichen Dienst. Erst 1940 gelang ihm die Emigration. Er gehörte zu den Flüchtlingen, die mit der MS »Patria« nach Palästina kamen. Als die Hagana, die zionistische paramilitärische Untergrundorganisation in Palästina, das Schiff vor Haifa sprengte, um die Überführung der jüdischen Passagiere nach Mauritius zu verhindern, starben mehr als 250 Flüchtlinge. Ein Säugling wurde, als das Schiff sank, zu seiner Rettung in einen Koffer gesteckt und in diesem ins Meer geworfen. Hermann Ebstein, der nicht schwimmen konnte, klammerte sich an eben diesen Koffer - ohne sich dessen bewusst zu sein, rettete er auf diese Weise nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das des Kindes.

In Palästina/Israel lebte Hermann beziehungsweise Dan, wie er sich dort nannte, im Kibbuz Afikim. 1959 heiratete er die Göttingerin Agnes Loewenthal. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Doron. 1962 nahm sich Hermann Ebstein das Leben. Er beschwerte sich mit Steinen und ertränkte sich im Jordan. Seine Tochter Doron vermutet, er habe die Ereignisse auf der MS Patria nie verwunden.

Itamar Doari, der in Halberstadt gastieren wird, ist der Sohn von Doron Ebstein-Doari. Er gilt als hervorragender Musiker. Die Kritik lobt: »Itamar Doari zaubert ein äußerst feinnerviges west-östliches Rhythmusgeflecht (...) Es erklingen gleichzeitig leichtfüßig perlende Beckenbeats und raffiniert vertrackte Schläge auf der Darabukka.« Erst im Vorjahr spielte er mit Avishai Cohen die CD »Seven seas« ein.

»Entdeckung des Abend«

Immer wieder geht Itamar Doari mit verschiedenen Formationen zwischen Jerusalem, New York und Thüringen auf Tournee. Dabei war er kürzlich gern gesehener Gast beim Bremer Musikfest. Für die Musikkritik zeigte er sich auch dort als der »exzellente, sich aber selbst in Hochgeschwindigkeitspassagen nie in spieltechnischen Machbarkeitsstudien erschöpfende Perkussionist« und wurde bei einem Konzert »als die eigentliche Entdeckung dieses Abends« gefeiert.

Auf die Besucher des Konzerts am kommenden Freitag 19.30 Uhr im Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt wartet also ein bewegender Abend.


Jalda Rebling singt

Rostock (nd). Zum 100. Geburtstag der jüdischen Sängerin Lin Jaldati steht am 29. November im Jüdischen Theater Mechaje in Rostock ein Liederprogramm ihrer Tochter Jalda Rebling auf dem Programm. Die Kantorin, Schauspielerin und Sängerin ist bekannt für ihre besondere Interpretation jiddischer Lieder und mittelalterlicher Musik. Das Konzert in der Langen Straße 9 beginnt um 19 Uhr, Karten unter 0381-2524692.

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