Der Frust der Katalanen
Die Unabhängigkeitsbewegung erstarkt in Zeiten der Krise und einer rechten Zentralregierung
»Gefühl, Geschichte, Identität«. Das sind die drei Gründe, mit denen Ester Eroles gegenüber »nd« ihr eindeutiges Votum für die Unabhängigkeit Kataloniens begründet. Noch ist das Votum der 30-jährigen Katalanin theoretischer Natur, weil die spanische Verfassung verbietet, dass die mit Bundesländern in Deutschland vergleichbaren 17 Autonomen Gemeinschaften eigenmächtig Volksabstimmungen über die Frage der Unabhängigkeit einberufen. Eben das aber hat der seit 2010 amtierende nationalliberale katalanische Regierungschef Artur Mas vor. Und der erste Schritt auf diesem Weg sind die von ihm einberufenen vorgezogenen Neuwahlen am kommenden Sonntag: Dort hofft er mit seiner rechtsgerichteten Partei Convergència i Unió - CiU (Katalanische Konvergenz- und Einheitspartei) auf eine absolute Mehrheit - das Surfen auf der immer mächtiger werdenden Unabhängigkeitswelle kann dabei nur helfen. Denn die CiU, die auch von 1980 bis 2003 Katalonien regierte, war bisher nicht als Verfechter der Unabhängigkeit aufgetreten, sondern vor allem darauf bedacht, die Interessen der mittel- und großständischen katalanischen Unternehmen zu bedienen. Einen eigenständigen Staat hat sich die CiU erst auf die Fahnen geschrieben, seit am 11. September 2012 rund 1,5 Millionen Menschen in Barcelona parteiübergreifend für die Unabhängigkeit demonstrierten. Aufgerufen zur Demonstration hatte die erst im März gegründete zivilgesellschaftliche Unabhängigkeitsbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC).
Am 11. September - dem Nationalfeiertag »La Diada« - wird alljährlich mit Blumengebinden jenes Tages im Jahr 1714 gedacht, als Barcelona vor den Truppen des Bourbonenkönigs Philipp V. kapitulierte und anschließend seine Selbstverwaltung verlor. 2012 wurde am Gedenktag das Motto »Katalonien, ein neuer Staat Europas« ausgegeben. Und dahinter versammeln sich offensichtlich mehr Einwohner denn je der 7,5 Millionen Menschen zählenden Region - durchaus auch Zuwanderer, wenngleich die große Mehrheit Katalanen sind, die sich vor allem über die katalanische Sprache im offiziell zweisprachigen Katalonien definieren. »Es ist ein Wunder, dass es die katalanische Sprache überhaupt noch gibt«, meint Ester Eroles und spielt damit auf die Unterdrückung der Sprachausübung in der Franco-Ära (1939-1975) an, als katalanisch zu sprechen in der Öffentlichkeit verboten war und in der Schule nicht gelehrt wurde. Deshalb haben ältere Katalanen mit der Schriftform teils ihre Schwierigkeiten.
Die unterschiedliche Geschichte und die unterschiedliche Kultur und Sprache nähren bei vielen Katalanen das Gefühl, dass Katalonien nicht zu Spanien gehört - im Baskenland ist das ähnlich. »Mit Stierkampf oder San Fermines mit der alljährlichen Stierhatz durch die engen Gassen in Pamplona habe ich nichts zu schaffen«, distanziert sich Eroles klar von spanischen Traditionen. Und schlichtweg skandalös findet sie es, dass Jahr für Jahr am 20. November - Francos Todestag - die spanische Rechte unbehelligt im Valle de los Caídos ihr Gedenken an faschistische Zeiten abhalten kann - dort, wo neben Franco auch der Gründer der faschistischen Bewegung Falange Española, José Antonio Primo de Rivera, Sohn des Diktators Miguel Primo de Rivera (1923-30) seine prunkvolle Grabstätte hat. Von dieser faschistischen Vergangenheit hat sich die seit 2011 in Madrid mit absoluter Mehrheit regierende rechtskonservative Partido Popular (PP) nie distanziert. »Immer wenn die PP in Madrid regiert, erstarkt der Wunsch nach Unabhängigkeit«, ist sich Eroles sicher. »Die PP versucht immer, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und bereits erlangte Autonomierechte wieder einzukassieren. Davon haben wir genug«, meint die für ein Logistikunternehmen arbeitende Akademikerin, die aus Vilafranca, einer Kleinstadt bei Barcelona stammt.
Die Auffassung, dass eine PP-Zentralregierung das Unabhängigkeitsbestreben in Katalonien befeuert, teilt Ferran Porta unumschränkt. Auch der seit 2006 in Berlin lebende Journalist spricht sich ohne Umschweife für Unabhängigkeit aus. Wobei er deutlich macht, dass er in einem Prozess zu dieser Haltung gekommen ist. »Ich bin nicht als Unabhängigkeitsverfechter geboren worden.« Mehrere Schlüsselerlebnisse hätten ihn über die Jahre zum Schluss gebracht, dass es besser sei, getrennte Wege zu gehen. Zum Beispiel 1992, als er in einer Tennis-Akademie in der Nähe von Barcelona arbeitete und mit Zöglingen aus dem ganzen Land bei der Eröffnung der Olympischen Spiele weilte: Alle Redner, die dort auf katalanisch sprachen, seien von den nicht-katalanischen Nachwuchsspielern mit dem wenig schmeichelhaften »hijo de puta« (Hurensohn) bedacht worden, warum redet der nicht spanisch, wir sind doch in Spanien!, erinnert sich Porta, der die Website itineri.de betreibt, die Stadtführungen in Deutschland anbietet - auf katalanisch und spanisch.
»Bis dahin hat es für mich keinen großen Unterschied gemacht, ob ich Spanier oder Katalane bin, in Ecuador in den 80er Jahren benützte ich als Schüler automatisch den Vornamen Fernando (spanisch für Ferran), aber diese Ignoranz und Arroganz gegenüber dem Katalanischen in Katalonien selbst. Das ist inakzeptabel!« Wobei er anschließt, dass die 15-Jährigen nur das äußerten, was sie in ihren Elternhäusern gelernt hätten. Die absolute Mehrheit für die PP 2000 und die Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichtes 2010, das 2006 mit großer Mehrheit per Volksabstimmung in Katalonien gebilligte Autonomiestatut in vitalen Bereichen einzukassieren, waren weitere Schlüsselerlebnisse, die Porta von Spanien entfremdeten. Dass er wie Eroles gerade in Berlin zu Spaniern enge Freundschaften pflegt, ist für ihn kein Widerspruch. »Ich habe überhaupt nichts gegen Kastilier, Andalusier, was auch immer, ich habe nur etwas gegen die Bevormundung durch den spanischen Zentralstaat, der Kataloniens Entwicklung behindert.«
»Bayern und Hessen erwägen in Deutschland gegen den Länderfinanzausgleich zu klagen - wegen 0,8 bis 0,9 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes an Nettozahlungen. Katalonien führt sechs bis acht Prozent ab«, nennt er gerade in der »FAZ« veröffentliche Zahlen der Madrider Zentralregierung. »Und dann wird den Katalanen noch der Vorwurf gemacht, sie seien nicht solidarisch! Das ist doch verrückt«, rückt er das medial häufig gezeichnete Bild über das egoistische Katalonien, das sich in der Krise entsolidarisieren will, zurecht. »Klar geht es auch um Geld und Finanzen und nicht nur um kulturelle Fragen, aber nicht um das Ob der Solidarität, sondern das Wie«, führt der 45-Jährige aus.
Dass es mit dem Wie so nicht weitergehen kann, ist auch die Auffassung von Regierungschef Artur Mas. Mas nahm die Massenkundgebung am 11. September zum Anlass, vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) einen Fiskalpakt zu fordern, damit Katalonien künftig selber Steuern erheben kann und weniger an Madrid abgeben muss als bisher - Regelungen, wie sie für das Baskenland bereits seit langem gelten. Rajoy lehnte kategorisch ab. Keine Diskussion, sowenig wie über ein Referendum, das den Schotten von Großbritanniens Regierung ohne viel Federlesens eingeräumt wurde. Katalanen wie Ferran Porta und Ester Eroles setzen in Sachen Unabhängigkeit auf die normative Kraft des Faktischen, der sich Madrid und Brüssel nicht dauerhaft entziehen könnten. »Wenn es einen politischen Willen gibt, gibt es auch eine politische Lösung«, ist sich Porta sicher. »Warum sollte, was in Schottland möglich ist, in Katalonien verwehrt bleiben?« Die Antwort darauf bleibt Madrid bisher schuldig und Brüssel hält sich bedeckt.
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