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Ausweg: Schönheit

Maurizio Maggiani in rauer Bergwelt

  • Mona Grosche
  • Lesedauer: 2 Min.

»In der Nacht, in der ich meine Frau geschwängert habe, wurde Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Der Vorfall ereignete sich kurz nach Mitternacht, weit bevor die Nachricht verlässlich war, und die Verbindung zwischen den beiden Ereignissen ist nicht nur natürlich, sondern auch mit absoluter Sicherheit ohne jegliche Bedeutung.« So lässt Maurizio Maggiani den namenlosen Ich-Erzähler dieses Romans mit seinen Erzählungen beginnen, die wahrhaftig ebenso ungewöhnlich sind wie der Romanbeginn selbst. Denn im Verlauf der Schwangerschaft entwirft der Vater für seine ungeborene Tochter ein Kaleidoskop ihrer sozialen Wurzeln: Familienangehörige und andere Bewohner der ländlichen Region der norditalienischen Garfagnana stellt er ihr vor. Diese sind von der rauen Bergwelt geprägt, der sie mit Viehzucht und den Erträgen der Kastanienwälder mühsam ein kärgliches Leben abtrotzen - oder ihr Glück in der Auswanderung suchen.

Doch trotz aller Abgeschiedenheit bleiben auch ihre Schicksale nicht vom Weltgeschehen verschont. Insbesondere der Zweite Weltkrieg ist mit seinen Folgen präsent. Da ist der alte Schweinezüchter Bresci, den alle »Omo Nudo« nennen, weil er nackt aus dem KZ Sachsenhausen zurückgekehrt ist. Dorthin war er von den Schwarzen Brigaden verkauft worden, nachdem sein politisch aktiver Vater Otello dank des Hinweises einer Geliebten vor den Faschisten fliehen konnte. Oder da ist Duse, die Mutter des Erzählers, die ihre beste Freundin Santarellina im Graben kennenlernte, in den sie sich zum Schutz vor einem deutschen Flieger warf. Und natürlich Santarellina, die man als Findelkind auf einem Altar fand, um später von den Nonnen als billige Arbeitskraft an Bauern verkauft zu werden, und die von sich selbst sagt, sie sei als Witwe geboren … Jeder in seiner Umgebung kann sich der Aufmerksamkeit des Erzählers gewiss sein, jeder ist ihm eine Geschichte wert.

So entsteht hier ein Mosaik aus literarischen Kleinoden über Menschen, deren archaisches Leben auf den ersten Blick unspektakulär erscheint, bei näherer Sicht jedoch alles umfasst, was wahre Größe, Dramatik und innere Schönheit ausmacht. Schönheit ist auch das Stichwort, um die Sprache Maggianis auf den Punkt zu bringen: Mit leichter Hand streut er mit leiser poetischer Stimme tief philosophische Gedanken in sein Werk, das nahezu entrückt zu sein scheint aus den Begrenzungen von Zeit und Raum. Ein wunderbares Geschenk für alle, die leise Geschichten zu würdigen wissen.

Maurizio Maggiani: Himmelsmechanik. A. d. Ital. v. Andres Löhrer. Edition Nautilus. 342 S., geb., 22 €

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