Mammutprozess in Argentinien
Bisher größtes Verfahren wegen Menschenrechtsverbrechen gegen Diktatur-Militärs
Vor dem fünften Bundesgericht in der Hauptstadt Buenos Aires müssen sich seit Mittwoch 68 Angeklagte wegen Entführung, Folter und Verschwindenlassen von Personen verantworten. Verhandelt werden die Verbrechen an 798 Personen, die ihren Ausgang in der Marine-Mechanikerschule ESMA in Buenos Aires nahmen. Unter den Opfern sind auch die beiden französischen Nonnen Alice Donom und Léonie Duquet. Die ESMA diente als geheimes Gefangenen- und Folterlager.
Vor Gericht stehen erstmals vier Piloten der sogenannten Todesflüge. Dabei wurden Gefangene aus Flugzeugen und Hubschraubern in den Río de la Plata oder ins offene Meer geworfen. Während des Prozesses sollen rund 900 Zeugen gehört werden, die Verhandlungsdauer ist auf 24 Monate angesetzt. Abermals müssen sich der als »blonder Todesengel« berüchtigte Kapitän Alfredo Astiz und der frühere Korvettenkapitän Jorge Acosta verantworten. Beide wurden bereits im Oktober vergangenen Jahres in einem vorherigen ESMA-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die ehemalige Mechanikerschule ist heute eine Gedenkstätte. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass in der ESMA mehr als 5000 Menschen gefoltert wurden, die später zu den verschwundenen Opfern der Diktatur zählten. Der Prozess wurde möglich, nachdem der Oberste Gerichtshof im Juni 2005 die Aufhebung der Amnestiegesetze bestätigte und damit den Weg für die juristische Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverbrechen frei machte.
Das Militär hatte am 24. März 1976 die Macht übernommen. Während der bis 1983 dauernden Diktatur wurden nach einem offiziellen Bericht mehr als 10 000 Menschen entführt und ermordet, Menschenrechtler beziffern die Zahl der Opfer auf 30 000. Darunter sind viele »Verschwundene«. Nach Angaben der Organisation CELS wurde seit der Aufhebung der Amnestiegesetze gegen insgesamt 1943 Personen wegen Menschenrechtsverbrechen ermittelt. 302 Angeklagte wurden inzwischen zu teilweise hohen Haftstrafen verurteilt, 24 wurden freigesprochen. Derzeit laufen 296 Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren. 759 Angeklagte befinden sich noch in Untersuchungshaft.
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