»Der Firmenhymnenhandel«

Wenn man Hand in Hand mit dem Manager singt

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Stück »Der Firmenhymnenhandel« kommt nach Berlin. Ein Gespräch mit Schauspieler Robert Stadlober und Autor-Regisseur Thomas Ebermann über Torturen der modernen Arbeitswelt und die schleichende Aufhebung der Freizeit.

nd: Worum geht es in Ihrem Stück?
Thomas Ebermann: In den letzten Jahren haben sich Tausende von Unternehmen eine Hymne angeschafft. Sie soll die Arbeitsmoral heben, den Krankenstand senken. Es geht um den ganzen Wahnsinn von »Quality Management« und »Self Empowerment«.

Das Singen von Firmenhymnen soll dazu beitragen, dass mehr und mehr Arbeiter mit dem Unternehmen verschmelzen. Warum tun das viele bereitwillig?
Robert Stadlober: Die haben keine andere Chance. Eine solche Hymne wird einem einfach vorgesetzt. So wie andere Zumutungen auch hingenommen werden. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass man Angst hat, ohne Arbeitsplatz dazustehen.

Die Hymne der DHL-Packstation: »Hab’ ich Pakete für die Packstation, träum’ ich von ihr schon in der Nacht davor./ Egal, wann ich auch kann, sie wartet schon, so frei war ich noch niemals je zuvor.« Der Gang zur Station wird mit einer Sehnsucht erwartet, als warte man auf die Geliebte. Die größte Freiheit scheint zu sein, ein Paket aufzugeben.
R. S.: Das ist ja noch das Perfidere dabei. Die singen quasi das Lied ihrer eigenen Entlassung mit. Weil ja statt dem Menschen, der früher das Paket entgegennahm, da jetzt die Packstation steht.

T. E.: Wir wissen, dass Menschen umzingelt sind von Diktaten, wie man zu reden, sich zu geben hat. Aber es gibt derzeit eine schreckliche totalitäre Tendenz: Mehr Menschen als je zuvor sehen Arbeit oder Berufsleben als eigentliche Verwirklichung, sie degradieren sich selbst zum Humankapital.

Die Firma versucht sich als Gemeinschaft darzustellen. Die Menschen sollen sich freuen über ihre Verwertung als Arbeitskraftbehälter.
R. S.: Das ist der Sinn einer Hymne: Man idealisiert etwas, singt mit und fühlt sich als Teil eines großen Ganzen. Die Frage ist, inwieweit es ein erstrebenswertes Ziel ist, sich mit seinem Unternehmen zu identifizieren. Viele machen aus ökonomischen Gründen eine Arbeit, die sie nicht erfüllt. Und mittels einer Hymne wird man dazu bewegt, sich mit dem zu verbünden, der eigentlich dafür verantwortlich ist, dass man sich unter üblen Umständen ausbeuten lassen muss. Wenn man auf einmal Hand in Hand mit seinem Manager, der zehnmal mehr verdient als man selbst, das Lied für die Packstation singt, ist das ein sehr fragwürdiger Vorgang.

T. E.: Auch wenn auf einem Betriebsausflug die »Polonaise Blankenese« aufgerufen wird, machen die Leute freiwillig mit. Es bedarf einer unglaublichen Stärke, nicht mitzumachen. Sich an den Rand zu setzen und zu sagen: ich guck’ euch zu - das löst bei den Tanzenden einen schmerzhaften Reflex aus. Dann kann es sein, dass man Wochen vor sich hat, wo man zur Schnecke gemacht wird.

Es geht also um Zugehörigkeit und Ausschluss, wie bei Nationalhymnen.
R. S.: Es geht auch darum, unzumutbare Sachen zumutbarer zu machen. Man soll sich mit seiner Arbeitsstelle identifizieren und der Meinung sein, dass alle mit der gleichen Energie für das gleiche Ergebnis kämpfen. Aber wenn du am Fließband stehst, ist es nicht so, dass du für das Gleiche kämpfst wie der, der beschließt, wie das Fließband bearbeitet wird.

T. E.: In der Tengelmann-Hymne heißt es: »...ob Kaffee, Bohnen oder Fertiggerichte - wir alle schreiben Geschichte.« Die Kassiererin, die das mitsingen muss, hatte bis dahin nicht die Idee, dass sie Geschichte schreibt. Das ist etwas Neues im Strukturwandel des Kapitalismus: die Aufhebung von Freizeit.

Warum genießt Lebensgenuss in Deutschland kein hohes Ansehen?
T. E.: Als ich Betriebsarbeit mit kommunistischer Absicht gemacht habe, sah ich viele Arbeiter, die es als unangenehm empfanden, wenn die Maschine kaputt ging. Da war so eine Sehnsucht, es möge flutschen, statt dass man sagte: »Hoffentlich geht das Biest mal wieder kaputt, dann gehen wir alle ins Raucherkabuff.« Dass in Deutschland die Sehnsucht nach Schlendrian auf der Arbeit nicht sehr ausgeprägt ist, ist ein Standortfaktor, ein Vorteil in der Weltmarktkonkurrenz. In anderen Ländern sind Menschen nicht ganz so dressiert.

Glorifizierung der Arbeit findet auch in Gewerkschaften und Parteien statt. Was ist links daran, den Wert des Menschen nach dem Wert seiner Arbeit zu bemessen?
T. E.: Sie fragen danach, warum Paul Lafargue mit seinem kleinen Büchlein »Recht auf Faulheit« so einsam war in der Geschichte des Marxismus. Der auf sein Produkt und auf die Ruinierung seiner Gesundheit stolze Arbeitsmann ist eine Figur aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Dabei ist es ja der größte Horror, wenn die Menschen sich darüber definieren, dass sie als Objekte der Verwertung tauglich sind. Das kommt noch gemeiner daher, wenn es um diese kreativen Projekte geht.

R. S.: Bei den kreativen Projekten nimmst du die Arbeit mit nach Hause, das ist ja noch bescheuerter. Das kenne ich aus meinem Beruf auch. Das ist aber im künstlerischen Beruf noch mal etwas anderes. Mein Vater hingegen hat in einem großen Betrieb als Elektriker gearbeitet. Es ging ihm nicht darum, dass er sich nach der Arbeit noch mit dem, was er da tat, identifiziert. Er wusste, dass er als Schichtarbeiter Kühlschrankmotoren prüfen musste. Aber sobald er zu Hause war, dachte er daran, auf einen Berg zu steigen oder Fahrrad zu fahren. Und das finde ich die sinnvollere Art und Weise, mit Lohnarbeit umzugehen.

Heute werden die Menschen immer mehr von ihrer Arbeitswelt zugerichtet. Sind sie nur Opfer oder auch Mittäter in diesem Verwertungssystem?
T. E.: Wenn im Menschen die verdinglichten Anteile wachsen im Verhältnis zu den lebendigen Zwecken, dann sind wir ganz schön in den Arsch gekniffen mit unseren Hoffnungen auf Emanzipation. Dann, wenn in den Menschen keine lebendigen Sehnsüchte mehr sind - etwa »hoffentlich geht bald die Sirene, dann kann ich aufs Fahrrad oder in die Berge« - , sondern wenn man nur noch schwimmen geht, um seine Arbeitskraft fit zu halten. Es ist ja verrückt, wenn man sich selbst bei allem, was Spaß macht, sagt: Das muss meiner Lohnarbeit dienen.

R. S.: Es ist absurd, aber es ist die Wirklichkeit. Es ist ja nichts, was wir uns ausgedacht haben als lustigen Witz für unser Theaterstück.

Wenn alles immer schlimmer wird, warum dann die fortgesetzte Gesellschaftskritik, warum das politische Engagement - liegt dann Resignation nicht näher?
R. S.: Wahrscheinlich. Aber man wünscht sich, dass die Freiheit, die man selber genießen kann, für alle irgendwie möglich ist. Und darum vielleicht bei mir das Nachdenken darüber: Warum können nicht alle so frei oder so halbfrei, wie ich über meine Zeit verfügen kann, auch über ihre Zeit verfügen? Das ist eine Sehnsucht, die man hat, warum auch immer.

Thomas Ebermann, 1951 geb., war Mitbegründer der »Grünen«, 1990 Parteiaustritt. Er arbeitet als Buchautor, Publizist und Regisseur in Hamburg.
Robert Stadlober, 1982 geboren, spielte u.a. in den Filmen »Sonnenallee« und »Crazy«.

Vorstellungen des »Firmenhymnenhandels« vom 8. bis 10. Dezember im »Heimathafen« Berlin-Neukölln.


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