Menschenrechte zählen nicht

Beim Freihandelsabkommen mit Kolumbien werfen die Europaparlamentarier alle Bedenken über Bord - nur Linke und Grüne stimmen dagegen

  • Gerhard Dilger
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute will das Europaparlament das Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru ratifizieren. Auffällig: Drogengelder können künftig noch leichter gewaschen werden.

Trotz der Proteste von Menschenrechtlern oder Regenwaldschützern zeichnet sich im Europaparlament eine breite Mehrheit für den bereits 2010 unterzeichneten Freihandelsvertrag zwischen der EU mit den Andenländern Kolumbien und Peru ab. Trotz der klaren Opposition europäischer Gewerkschaften, die auf die Gewalt gegen ihre Kollegen in Kolumbien verweisen, hat sich ein Großteil der sozialdemokratischen Fraktion der neoliberalen Freihandelslogik unterworfen. Zur Wahrung der Menschenrechte in den Andenländern geben diese Parlamentarier nur noch peinliche Lippenbekenntnisse ab.

Auch das absehbare Desaster für andine Kleinbauern bei einer Marktöffnung für EU-Milchprodukte lässt sie kalt. Die EU soll künftig das Recht erhalten, jährlich 60 Millionen Tonnen Milch zollfrei nach Kolumbien zu exportieren - mit diesen hoch subventionierten Milchprodukten können die dortigen Milchbauern schlicht nicht konkurrieren.

Linke und grüne Parlamentarier widersetzen sich dem Mainstream - und führen nun eine bemerkenswerte Studie ins Feld. Demnach spricht einiges dafür, dass der Drogenmafia durch das Freihandelsabkommen die Geldwäsche erheblich erleichtert werden dürfte. Bei den geheim geführten Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und den Regierungen der beiden weltweit größten Kokainproduzenten wurde auf sämtliche Klauseln verzichtet, die bei vergleichbaren Abkommen die Geldwäsche von Narcodollars zumindest theoretisch erschweren könnten.

»Die Kontrollbehörden werden in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt, und es werden nur schwache Empfehlungen ausgesprochen«, weiß die belgische Forscherin Myriam Vander Stichele, die ihre Studie letzte Woche in Brüssel vorstellte. Beim parallel ausgehandelten Freihandelsvertrag mit Zentralamerika, der ebenfalls vor der Ratifizierung steht, würden hingegen eine ganze Reihe von härteren Verpflichtungen und sogar konkrete Maßnahmen gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität und Korruption erwähnt, insbesondere auf dem Gebiet der transatlantischen Zusammenarbeit.

»Diese offenbar gezielt vorgenommenen Abschwächungen sind ein Skandal«, meint Jürgen Klute von der Linksfraktion, »in dieser Form wird der Drogenmafia eine breite Schneise geschlagen.« Außerdem ärgert sich der deutsche Abgeordnete darüber, dass die Erfahrungen der Finanzkrise von 2008 nicht berücksichtigt worden seien: »Während wir uns im Parlament für eine striktere Reglementierung der Finanzmärkte stark machen, ist das Abkommen mit Kolumbien und Peru immer noch von dem neoliberalen Geist der 90er Jahre geprägt«. Sein grüner Kollege Philippe Lamberts pflichtet ihm bei: »Die Finanzlobby ist in der EU-Kommission prominent vertreten«.

Myriam Vander Stichele vermutet, dass die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA den Kartellen in Mexiko die Arbeit erleichtert: »Seit 1994 haben sich die illegalen Geldströme vervielfacht«. Auch in Europa habe sich in den letzten Jahren unter transnationalen Unternehmen eine regelrechte »Steuerplanungsindustrie« herausgebildet, sagt die Forscherin.

In Brüssel demonstrierten belgische Aktivisten vor dem Parlament gegen die Ratifizierung. Auch Bischof Julio Murray Thompson, der Vorsitzende des lateinamerikanischen Kirchenrates CLAI, bezog eindeutig Stellung gegen die Freihandelsabkommen. Für den Kirchenmann aus Panama laufen diese den Interessen der armen Bevölkerungsmehrheit in den zentral- und südamerikanischen Ländern klar zuwider.

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