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Die »heilige« Oligarchin

Wie Julija Timoschenko sich die ukrainische Wirtschaft unterwarf und die Politik narrt

  • Rosi Blaschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie ist in der Ukraine, ja, in Europa die prominenteste Frau in Haft - die blonde Hübschheit mit Zopf- und Ährenkranz, Julija Timoschenko. Seit ihr der Prozess wegen Steuerhinterziehung und Korruption gemacht und sie im Oktober 2011 zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, kann sie sich über zu wenig Schlagzeilen nicht beklagen. Wer ist sie? Eine Bildungsbürgerin, eine Heilige der Demokratie und Freiheit, des orangefarbenen Aufstands in ihrem Heimatland? Oder eine gerissene Geschäftsfrau und Politikerin, die die Gunst der Stunde nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches genutzt hat, Millionenvermögen und Macht zu erobern?

Frank Schumann hat sich in der Ukraine an Timoschenkos Fersen geheftet. Minutiös beschreibt er ihren Weg von der Kindheit auf einem Hinterhof in Dnipropetrowsk, über das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der dortigen Universität sowie der Gründung eines Videoverleihs und Jugendzentrums mit ihrem Mann Ende der 80er Jahre, einer Kooperative (Form privaten Unternehmertums unter der Regierung Gorbatschow), bis hin zur Chefin des Energiekonzerns EESU. Ende der 90er Jahre hat die Gasprinzessin Macht über etwa ein Viertel der ukrainischen Wirtschaft. Ihr Vermögen betrug laut ukrainischen Quellen 2,5 Milliarden Dollar. Zur wirtschaftlichen Macht organisierte sie den Einstieg in die Politik und erklomm den Posten der Ministerpräsidentin. Sie wusste beides immerfort gut zu nutzen. Jahrelang hat, wie Schumann vom einstigen Ermittler Generalleutnant Mikola Obichod erfuhr, die Justiz Untersuchungsdokumente über Amtsmissbrauch, Wirtschaftsvergehen, Veruntreuung von Staatsgeldern zusammengetragen. Sie führten zum Prozess und zur Verurteilung.

Schumann war an vielen Orten: im Kiewer Untersuchungsgefängnis Lukjanowo, in der Zelle Nr. 260, und im Frauengefängnis Nr. 54 in Charkiw. Er sah das eigens für sie eingerichtete Behandlungszimmer, war im Eisenbahnerkrankenhaus, wo sie wegen eines schweren Bandscheibenvorfalls behandelt wird. Schumann sprach mit vielen Menschen auf der Straße, aber auch mit Sidorenko, dem Chef der ukrainischen Gefängnisse, mit dem Gefängnisleiter Perwuschkin, dem ersten Ermittler Obichod und dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Kuzmin, mit Ärzten und mit dem Sohn des ermordeten Unternehmers Scherban. Nur eine sah und sprach er nicht: Julija Timoschenko. Kein Wunsch, kein Weg führte zu ihr, aus welchen Gründen auch immer. Ist das ein Mangel des Buches oder vielleicht nur das fehlende Tüpfelchen auf dem i?

Der Autor titelt sein Buch »Die Gauklerin« - der Titel ist fragwürdig. Gaukler sind Unterhaltungs- und Zauberkünstler, Possenreißer. Wäre es so, wäre Timoschenko nicht so viel Aufhebens wert. Schumann schreibt selbst, sie handele immer mit Kalkül, sie sei ihren ukrainischen Kollegen in Politik und Wirtschaft intellektuell überlegen. Und an anderer Stelle: »Julija Timoschenko handelt nie unüberlegt. Sie weiß Zeichen zu setzen und Zeichen zu instrumentalisieren. Sie hat sehr früh begriffen, dass die Politik von Bildern und Symbolen lebt.« Julia Timoschenko wird mitunter sogar mit der Zarin Katharina der Großen verglichen: öffentlichkeitsbewusst und mit einem außerordentlichen politischen Instinkt. Sie sah und sieht, wie die Macht verteilt war und wie sie verteilt werden kann, in welchem Teil Europas sie ihre Fürsprecher finden kann. Gaukelei, nein. Ihren Bandscheibenvorfall kann sie ohnehin nicht vorgaukeln. Wer davon betroffen wurde, weiß um die Schmerzen.

Angesichts von Julia Timoschenkos Aufstieg in den Kreis der sogenannten Oligarchen - »Im ganzen postsowjetischen Raum war sie dort die einzige Frau.« - fragte Schumann: Woher kommt diese kriminelle Energie, wo haben diese ehemaligen Sowjetbürger das gelernt? Eine schlüssige Antwort bekam er nirgends. Insider, die in der Sowjetunion und in Russland gelebt und gearbeitet haben, wissen: So mancher, der an den Schalthebeln saß, beim Komsomol, beim KGB, als Betriebsdirektor, in Parteiämtern, hat schon in der UdSSR »Knete gemacht«, war strukturell vernetzt. Sie kamen an Parteigelder heran und kauften billig Großbetriebe auf. Pawlo Lasarenko, kurzzeitig Ministerpräsident, einstiger Weggefährte Timoschenkos, dann fallen gelassen, in den USA zu neun Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt, ließ seine Verteidiger sagen: Es sei in der zerfallenden Sowjetunion ukrainischen Politikern nicht verboten gewesen, öffentliches Vermögen zu privatisieren.

Wer über die Produktionsmittel verfügt, hat auch die Macht im Staate. Sie griffen zu. Das Volk, dem die Produktionsmittel doch gehören sollten, war machtlos und wurde übers Ohr gehauen. Kommt das uns Ostdeutschen nicht bekannt vor? Hier geschah gleiches per Gesetz, hier griff die Treuhand zu. Nicht mehr die Wahrung des Volkseigentums, sondern seine Privatisierung und Reorganisation stand im Mittelpunkt. »Das Volk kann sich sein Eigentum in den Rauchfang schreiben.« (Stefan Heym)

Der Fall Julija Timoschenko ist nicht ausgestanden. Sie ist das Faustpfand in der Hand der westlichen Politik. Sie öffnet EU und NATO das Tor in die Ukraine und umgekehrt. Nun will Hillary Clinton sich mit Timoschenko treffen. Ihr wird der Weg zur blonden Ikone mit Sicherheit nicht versperrt sein. Vielleicht sollte sie sich vorher mit dem Fall Lasarenko in ihrem Land befassen. Oder auch Schumanns Buch lesen, das zwar noch nicht auf Englisch, aber bereits auf Russisch vorliegt.

Frank Schumann: Die Gauklerin - Der Fall Timoschenko. Edition Ost, Berlin 2012. 256 S., br., 14,95 €.

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