Geteilte Hansestadt
Bremen ist Vorreiter beim Mindestlohn - aber die Schere zwischen Männern und Frauen ist enorm
»Nicht jeder Arbeitsplatz ist ein guter!«, sagt Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, dem Pendant zur Handelskammer des Zwei-Städte-Staats. Das kleinste Bundesland tat sich im Sommer hervor mit dem ersten Mindestlohngesetz Deutschlands. Seit September gilt ein Stundenlohn von 8,50 Euro als Mindestgrenze für alle Verträge, auf die die öffentliche Hand Bremens Einfluss hat.
Wie sich das Gesetz bisher auswirkt, kann Holger Bruns, Sprecher des Bremer Senators für Arbeit, auf Anfrage des »nd« nicht sagen. Zahlen über Arbeitsverträge, auf die Bremen Einfluss nehmen kann, ließen sich nicht erheben, da es ein weit verzweigtes Netz von Behörden, Dienststellen und Ämtern gebe, die an der Finanzierung von Arbeitsplätzen beteiligt sind. Klar ist lediglich, dass seit September zehn Bürgschaftsanträge für Existenzgründungen von der Bremer Bürgschaftsbank aufgrund des Mindestlohngesetzes abgelehnt wurden. Da war zum Beispiel die Kalkulation eines Sonnenstudios, so Bruns, die auf Mini-Jobs beruhte, für die 8,50 Euro Stundenlohn nicht garantiert werden konnten. Bruns sieht keine Nachteile des Mindestlohngesetzes, sondern die Notwendigkeit einheitlicher, bundesweiter Regelungen.
Auch Schierenbeck und Jörg Muscheid, Referent für Wirtschaftspolitik der Arbeitnehmerkammer, sehen die Dringlichkeit der Ausweitung des Mindestlohngesetzes, und zwar aufgrund aktueller Verdienst-Daten der Agentur für Arbeit, des Landes- sowie des Bundesamtes für Statistik.
21 Prozent weniger Gehalt
Zogen noch die Stadtmusikanten nach Bremen, um dort »etwas Besseres als den Tod« zu finden, so bietet die Hansestadt mittlerweile richtig gute Verdienstmöglichkeiten. Aber nicht für alle. Die Teilung der Gesellschaft ist in Bremen besonders stark. Es gibt eine auffallend große Spanne im Bereich der Vollzeitbeschäftigten zwischen dem höchsten Durchschnittsverdienst in der Industrie (4386 Euro) und dem niedrigsten im Gastgewerbe (1837 Euro). Ebenso eklatant ist die Schere zwischen Männern und Frauen. In Bremen ist das Geschlecht auch im dritten Jahrtausend noch ausschlaggebend für den Verdienst. Frauen bekommen im Durchschnitt rund 21 Prozent weniger Gehalt als Männer. Damit ist die Hansestadt in dieser Frage fast das Schlusslicht aller Bundesländer - sie belegt den vorletzten Platz der Skala. Die wird angeführt von Sachsen-Anhalt, wo der Unterschied nur etwa 0,7 Prozent beträgt.
Fast 22 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Bremen finden sich im Niedriglohnbereich, die Zahl der so genannten Aufstocker wächst kontinuierlich. Im vergangenen Jahr waren fast 19 000 Vollzeitbeschäftigte auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen, um über die Runden zu kommen. Deshalb mahnt Schierenbeck eine Veränderung der Bremer Wirtschaftspolitik an: Die Qualität der Arbeitsplätze soll zählen - nicht nur die Quantität.
Gerade auch die peinliche Geschlechter-Ungerechtigkeit könne durch einen gesetzlich vorgeschriebenen, flächendeckenden Mindestlohn bekämpft werden. Schließlich sind es die Branchen, in denen der Frauenanteil unter den Beschäftigten sehr hoch ist, die nur spärliche Gehälter zahlen. In der Bremer Industrie arbeiten noch immer vornehmlich Männer - als Autohersteller, Stahlkocher und Raketenbauer. Es gibt Werke, so Schierenbeck, in denen der Frauenanteil gerade mal bei zehn Prozent liege.
Große Unwissenheit
Ein weiteres Feld, in dem zum Teil ausbeuterische Verhältnisse herrschen, ist der Bereich der Teilzeit-Beschäftigungen und Mini-Jobs. Auch hier gibt es einen besonders hohen Frauenanteil und große Unwissenheit. Viele Mini-Jobber wüssten nicht, dass sie dieselben Rechte haben, wie Vollzeitangestellte. Neben bezahltem Urlaub und Krankentagen gehöre auch ein angemessener Lohn dazu, so der Kammer-Geschäftsführer. Zum Teil befänden sich hier die Stundenlöhne im freien Fall. Ein gesetzlich festgelegter, bundesweiter Mindestlohn könnte die Abwärtsspirale stoppen.
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