Prekariat pittoresk

»Beasts of the Southern Wild« von Benh Zeitlin

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 2 Min.

Von der kleinen Hauptdarstellerin heißt es, sie werde bestimmt für einen Oscar nominiert werden. Aber auch weit vor den Oscars hat »Beasts of the Southern Wild« bereits eine beachtliche Strecke an Filmfestpokalen vorzuweisen, vom Hauptpreis in Sundance bis zum Debütpreis in Cannes. Was verständlich ist, wenn man nur den Charme des Kindes betrachtet, das die zentrale Rolle spielt in diesem Märchen von Armut und Lebensfreude. Aber schon deutlich weniger nachvollziehbar, sobald man sich den Kontext näher ansieht, in dem diese Lebensfreude gedeiht. Und diese Armut.

Quvenzhané Wallis spielt Hushpuppy, eine wuschelköpfige Halbwaise in der Obhut ihres Vaters in einer hausgebastelten Hütte jenseits der Dämme im Überflutungsgebiet der Bayous von Louisiana. New Orleans und die Verwüstungen durch Katrina sind inhaltlich wie geografisch nicht weit, aber für ein Kind ist das Leben an diesem wasserumspülten, extremen Ende der bewohnten Welt jeden Tag voller Abenteuer. Dass es außerdem gefährlich ist, wenig bildungsaffin, unhygienisch und bettelarm, ist für eine unternehmungslustige Göre wie Hushpuppy keine fassbare Größe.

Die redet mit den Tieren, deren Verwandtschaft ihr Vater täglich auf den Grill schmeißt - die Bayou-Küche ist traditionell fleischlastig, das ist soweit korrekt, wenn auch nicht sonderlich gesundheitsförderlich. Sie streunt auf der Halbinsel umher, denn von Schule ist hier selbstredend keine Rede. Sie vertreibt sich mit Trinkern und Junkies die Zeit und gibt selbst reichlich frühreife Kommentare ab. Man kann das naturverbunden nennen, visionär und solidarisch, und die aus allen sozialen Netzen gefallenen Insel-Bewohner als utopische Gemeinschaft verstehen, die sich vor der Kommerzialisierung des Alltags auf dem Festland in diese meerumwogte Idylle rettete. Nur hieße das dann doch die Augen verschließen vor allen Fragen elterlicher Verantwortlichkeit und mittlerer Lebenserwartung. Man kann lesen lernen und Vorsorge betreiben, ohne gleich seine Seele an Pharma-Lobby, Auto-Industrie oder Cola-Dosenhersteller zu verkaufen.

Als die Flut schließlich kommt, die das Leben auf der Insel unmöglich machen wird, bemüht Debütfilmer Benh Zeitlin als apokalyptische Reiter eine Horde stoßzahnbewehrter Monsterwildschweine, die Hushpuppy auf der Ebene erscheinen. Aber der eigentliche Feind dieser losen Gemeinde selbsternannter Aufrechter ist die Zivilisation, wie man sie hinter den Dämmen versteht. Weshalb die denn auch unbedingt gesprengt werden müssen, wo sie denn schon mal hielten - ein Akt bodenloser Barbarei, der einen weiteren, eigentlich schon längst nicht mehr benötigten Beweis liefert, dass programmatische Bildungsferne zu nichts Gutem führen kann.

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