Sein oder Nichtsein? Das ist seit gestern die Frage.
Von Wolfgang Hübner
War gestern was? Nö. Es hat ja auch kein aufgeklärter Mensch, erst recht kein Maya wirklich damit gerechnet, dass etwas Nennenswertes untergeht. Nicht einmal die Sonne - die kam vorsichtshalber gar nicht erst raus. Sehr klug gemacht, aber die Sonne hat auch leichtes Spiel: kein Arbeitsvertrag, keine polizeiliche Meldepflicht; die Sonne blieb einfach unentschuldigt zu Hause und muss keinerlei Sanktionen fürchten. Der Herbst ging gestern unter, gut, aber der hatte sowieso schon vorm drängenden Winter die weiße Flagge gehisst.
Kein Untergang also, gut so. Es war ja schließlich nicht alles schlecht. Das Leben, so beklagenswert es manchmal sein mag - man hängt doch irgendwie daran. Vieles ist im Leben möglich, was danach nicht mehr geht. Höchstwahrscheinlich nicht jedenfalls. Man muss das einmal betonen, weil das menschliche Gedächtnis ja oft funktioniert wie eine Harke: Nur der Unrat bleibt hängen.
Das Leben ist schön, allein schon deshalb, weil es weitergeht. Man kann viel Unerfreuliches aufzählen, was einem im Leben begegnet, man kann Niederlagen einstecken, man kann Tiefschläge erleiden, dennoch: Lebbe geht weider.
So unnachahmlich treffend, komprimiert, umfassend hat es Dragoslav Stepanovic im hessischen Idiom formuliert, Fußballer und Fußballtrainer. Sein Verein, Eintracht Frankfurt, stand 1991/92 lange an der Spitze der Bundesliga, verlor aber das letzte entscheidende Spiel durch ein Gegentor kurz vor Schluss. Die Meisterschaft war vergeben. Ein Gefühl wie kurz vorm Weltuntergang.
Allerdings, ein kleines ungutes Gefühl blieb gestern den ganzen Tag über. Klingelte das Telefon, öffnete sich die Tür: Meldet sich so das Ende? Und wenn - käme es gelegen? Wäre man genügend vorbereitet, wäre alles geordnet? Nein, natürlich nicht. Rechnungen sind offen, Gedanken ungedacht, Bücher ungelesen, Koffer ungepackt. Viel zu tun. Der nächste Baktun im Maya-Kalender dauert 394 Jahre. Ob das dann ausreicht?
Gestern kamen übrigens ein paar Mails an. Von wegen Untergang. Hoffnungsheischende Dinge standen darin. »Hallo, bekomme 25 Prozent auf ein Kuscheltier deiner Wahl!« - »500 Euro Gutschein für Ihr Haustier gewinnen!« - »Ihr Kreditwunsch ist verfügbar!« Alles keine schlechten Aussichten. Und darauf hätten wir verzichten sollen? Nur weil die Welt untergeht?
Lebbe geht weider!
KONTRA
Von Ingolf Bossenz
Eine große Chance wurde vertan. Wieder einmal. Und wieder bleibt der apodiktische Satz meiner Großmutter väterlicherseits »Nichts ist besser als Weihnachten« ohne Verifikation. Denn Weihnachten kommt. Das Nichts nicht. Ist es wirklich besser? Wir wissen es nicht. Aber wir sollten es glauben, nein, wir sollten davon überzeugt sein. Als Verfechter der reinen Leere, die uns jahrzehntelang als eine unverrückbare Weltanschauung galt. Leider sind sie inzwischen verrückt, die Welt und die Anschauung. Mit dem Ende der Welt wären wir beide auf einen Schlag losgeworden. Reine Leere. Doch das Desaster blieb aus. Ein Desaster.
Immerhin: Die Grundfrage der abendländischen Metaphysiktradition »Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?« ist nun weitgehend beantwortet: Weil die Welt auch nach dem 21. Dezember 2012 weiter besteht, ist nicht nichts, sondern eben etwas.
Aber wer hat es eigentlich zu verantworten, dass wir uns auch künftig herumärgern müssen mit Meckerern und ewigen Nörglern, Weihnachtsmuffeln und Mittelspurschleichern, TÜV und Vokuhila, Hammelsprung und Überhangmandaten? Wer ist schuld, dass die großen existenziellen Fragen weiter quälend auf uns lasten: Warum gibt es immer noch Fernsehsendungen ohne Jörg Pilawa? Wie viel Ungereimtes dürfen Gedichte enthalten? Sind Salafisten schlimmer als Stalinisten? Womit fliegen eigentlich Fluglärm-Gegner? Warum werden Personaldebatten bei der LINKEN ausschließlich zur Unzeit geführt? Wenn die Hunde nicht bellen - zieht die Karawane trotzdem weiter? Hilft Grass im Schrank gegen Stroh im Kopf?
Unser dringender Verdacht sollte sich - daraus mache ich kein Hehl - gegen Gott richten. Unterstützung kommt bei diesem Vorstoß von Kristina Schröder. Auf die Frage der Wochenzeitung »Die Zeit«, wie man einem Kind erkläre, warum es »der Gott« und nicht »die Gott« heiße, hatte die Bundesfamilienministerin geantwortet, der Artikel habe nichts zu bedeuten: »Man könnte auch sagen: das liebe Gott.« Bei einem Wesen, dessen Geschlechtlichkeit solcherart fragwürdig ist, verwundert es nicht, wenn es den in seinem Zuständigkeitsbereich liegenden Weltuntergang wieder einmal genauso lax behandelt hat.
Glücklicherweise haben wir eine gewisse Gott-Auswahl, an die wir uns künftig wenden werden. Zum Beispiel Fagott (eindeutig Neutrum), Bigott (zweigeschlechtlich) oder Weißgott (weiß das Geschlecht, behält es aber für sich).
Jetzt feiern wir erst einmal Weihnachten. Ist schließlich besser als nichts.
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