Hat Steinbrück doch Recht?
Mehr Kontrolle und Reglement könnte auch hohe Gehälter gerechter erscheinen lassen
Als Ulrich Schröder Ende 2008 seinen Job als neuer Chef der Förderbank KfW startete, galt er als die ideale Besetzung für diesen Posten. Schließlich hatte er zuvor bei der NRW-Bank in Düsseldorf bereits ähnliche Aufgaben betreut. Doch gab es bei seiner Einstellung ein kleines, sechsstelliges Problem. Schröder hatte bei dem Düsseldorfer Ableger von Deutschlands drittgrößter Bank, der WestLB, viermal so viel verdient wie seine Vorgänger an der Spitze der KfW. Der Grund: Erstere orientiert ihre Personal- und Verdienstpolitik an den privaten Banken, letztere dagegen am öffentlichen Dienst. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Schröders Jahressalär sollte nur noch halb so hoch wie früher bei der NRW-Bank ausfallen - aber immer noch doppelt so hoch wie das seiner Vorgänger.
Das Beispiel zeigt, welche Konflikte durch die beiden völlig unterschiedlichen Entgeltsysteme des Staates und der Wirtschaft entstehen können, die parallel und unkonfiguriert nebeneinander herlaufen. Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Institutionen prallen die Definitionen beider Systeme inzwischen immer häufiger unvermittelt aufeinander. Im Grunde genommen sind es sogar vier verschiedene Entlohnungsprinzipien, die eine Rolle spielen: Das Prinzip des Marktes, das Prinzip der Macht, das Prinzip der Leistung und Verantwortung sowie der Dienstjahre-Automatismus auf der Karriereleiter im öffentlichen Dienst.
Damit einher geht auch eine nebulöse Definition dessen, was unter Leistung und Verantwortung landläufig verstanden wird. Eine Krankenschwester beispielsweise, die Nacht für Nacht allein für eine Abteilung mit 30 krebskranken Patienten im öffentlichen Klinikdienst verantwortlich ist und sich dabei den Rücken ruiniert hat, verdient rund 1800 Euro monatlich - einschließlich Nachtzuschlag. Die Bundeskanzlerin, deren Rückenprobleme sicher andere Ursachen haben, verdient etwa das Zehnfache. Summiert kommt die First Lady damit auf etwa eine Viertelmillion - inklusive 13. Monatsgehalt. Dieses Niveau wird nicht etwa im Zuge der Selbstbedienung festgelegt, wie mancher geneigt ist zu glauben, sondern leitet sich aus den Bezügen der höchsten Beamten im Staat ab - und das sind die Präsidenten der sechs obersten Bundesgerichte.
Auf die Wirtschaft übertragen, könnte man mit dem gleichen Geld maximal den Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens mit 100 bis 500 Beschäftigten zufriedenstellen. Die Spitzenmänner in den Topetagen der im DAX gelisteten 30 Vorzeigekonzerne spielen da in ganz anderen Gehaltskategorien: Auf den anstehenden Hauptversammlungen der DAX-Unternehmen müssen die Aktionäre wohl einen Anstieg der Vorstandsverdienste um rund zehn bis 30 Prozent auf durchschnittlich über fünf Millionen Euro für das zurückliegende Jahr absegnen. Ein neues Gesetz gibt der Aktionärsversammlung erstmals das Recht und die Pflicht, die Verdienste der Manager in Frage zu stellen. Der Aufsichtsrat hat aber weiter das letzte Wort bei der Festlegung der Vorstandsgehälter.
Wenn Leistung und Verantwortung als allgemein gültige Maßstäbe für das Einkommen dienen, muss schlicht gefragt werden, welche Leistung und welche Verantwortung sind gemeint, und für wen? Darüber befindet letztlich ein kleiner Zirkel von Mächtigen, der mit seiner zweifelhaften Legitimierung an einstige Sozialismus-Zeiten erinnert: Das »Zentralkomitee«, das sind die 180 DAX-Vorstände - bis auf zwei Ausnahmen alles Männer - sowie etliche Aufsichtsräte. Und das »Politbüro«, der innere Machtzirkel von maximal zwei Dutzend führenden Vorständen und ehemaligen Vorständen. Sie schieben sich gegenseitig die Privilegien und Posten zu und begründen dies stets mit internationalen Vergleichen. Doch der so häufig zitierte globale Markt versagt angesichts des traditionell praktizierten Nepotismus, auch Vetternwirtschaft genannt.
Etwas läuft schief im Lande, wenn diejenigen, die Verantwortung für einen kompletten Staat tragen, sich vergleichen lassen müssen mit den Managern, die nur verantwortlich sind für ein paar Tausend Beschäftigte. Hinzu kommt, dass die letzteren eine immer noch stark eingeschränkte Sichtweise auf Leistung und Verantwortung verkörpern: Nur was den Aktionären, den Kreditgebern und Eignern frommt, gilt als akzeptierte Wertmarke - die so genannten Stakeholder-Interessen, vom Kunden bis zur Belegschaft, vom Finanzamt bis zur Arbeitslosenverwaltung, vom Umwelt- bis zum Gesundheitsschutz werden außer Acht gelassen. Doch selbst ein so weit gefasster Verantwortungsbegriff würde noch nicht ein Gehalt rechtfertigen, das zwanzigmal höher ist als das der obersten Staatsrepräsentanten.
Was im öffentlichen Dienst angepackt werden muss, ist eine Neubewertung der Leistungen verschiedener Hierarchiestufen. Was in der Wirtschaft notwendig ist, ist eine schärfere Kontrolle der scheinbar allmächtigen Konzernlenker. Gäbe es bei uns echte Demokratie, wäre dies sicher kein Problem. Die HV würde die Gehälter der Manager stutzen, und die Haushälter im Bundestag ebenfalls die langsam beginnende Leistungsorientierung im öffentlichen Dienst honorieren.
Peer Steinbrück hat damit nicht nur einen, sondern genau genommen zwei Steine ins Wasser geworfen - vielleicht, um zu sehen, welche Wellen daraus entstehen - lange genug vor den Wahlen, damit sich die Gemüter wieder beruhigen können. Vom Ausmaß der aufflammenden Kritik vor allem aus den Reihen der selbst betroffenen »Meinungsführer« in Verbänden, Medien und Gremien war wohl auch Steinbrück überrascht.
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