Eskalierte Erinnerung
Städtische Feier für Oury Jalloh musste abgebrochen werden / Polizei hält sich bei Demonstration zurück
Für die handgreifliche Auseinandersetzung wurde ausgerechnet ein Foto von Oury Jalloh missbraucht. Das Bild, das seit Jahren am 7. Januar auf den Stufen des Polizeireviers in Dessau steht, um an den Feuertod des Flüchtlings in einer Gewahrsamszelle vor acht Jahren zu erinnern, wurde zunächst zertreten; dann wurde es Torsten Steckel über den Kopf geschlagen. Der Mitarbeiter der Dessauer Opferberatung hatte die Gedenkveranstaltung organisiert; einst gab er maßgeblich den Anstoß dafür, dass der Tod Jallohs juristisch aufgearbeitet wurde. Der Mann, der ihn mit dem Bild malträtierte, gehört der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« an, deren wichtigste Ziele es sind, die Erinnerung an den Mann aus Sierra Leone aufrecht zu erhalten und die Verantwortlichen für dessen Tod zur Verantwortung zu ziehen.
Letzteres ist aus Sicht der Gedenkinitiative auch in zwei sehr langwierigen Gerichtsprozessen nicht gelungen. Zwar wurde Mitte Dezember nach 66 Verhandlungstagen der heute 52-jährige Polizeibeamte Andreas S. zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro verurteilt. Das Landgericht in Magdeburg befand ihn der fahrlässigen Tötung Jallohs für schuldig. Im Dezember 2008 waren S. und ein damals mitangeklagter Beamter vom Landgericht Dessau noch freigesprochen worden. Steckel betont, jetzt gebe es immerhin einen Schuldspruch, auch wenn wichtige Fragen etwa nach der Brandursache nicht aufgeklärt werden konnten.
Die Gedenkinitiative indes wirft dem Gericht vor, vermeintlich eindeutige Fakten nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Sie sieht klare Indizien dafür, dass Jalloh von Polizisten in Brand gesteckt wurde, und fordert eine entsprechende Anklage. Ihr seit Jahren geäußerter Slogan lautet: »Oury Jalloh - das war Mord.«
Den Spruch skandierten Vertreter der Gedenkinitiative, deren Aktivisten vorwiegend aus Berlin und anderen Städten im gesamten Bundesgebiet kommen, auch bei der Veranstaltung gestern Vormittag vor der Polizeiwache. Diese sei »eine Farce«, sagte später Mouctar Bah, ihr Sprecher und einstiger Mitstreiter Steckels. Ihn stört, dass zu dem Gedenken regelmäßig auch Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft kommen. Diese hätten die beiden Prozesse durch »Vertuschung« torpediert. Bah distanzierte sich zwar von unflätigen Beleidigungen gegenüber einer Pfarrerin, die gestern eine Ansprache hatte halten wollen und statt dessen Blumen ins Gesicht geschlagen bekam. Er kritisierte aber, die Veranstaltung diene nur dem Imagegewinn für die Stadt.
Dagegen betont Steckel, es handle sich um »unsere Form des Gedenkens«. Dieses wird von zahlreichen örtlichen Initiativen ausgerichtet: dem Multikulturellen Zentrum, einer deutsch-afrikanischen Initiative, dem Ausländerbeauftragten der Stadt, dem Bündnis gegen Rechts und dem Migrantenrat. Wichtigste Botschaft sei es, dass sich ein Vorfall wie im Januar 2005 nicht wiederholen dürfe. Zudem sollten die Lebensbedingungen für in Dessau lebende Migranten verbessert werden. Der verbale Radikalismus der Gedenkinitiative stößt in der Stadt dagegen auf immer weniger Verständnis. Zu deren Demonstration, wird angemerkt, kommen kaum noch Bürger aus Dessau.
Trotzdem gelang es den Initiatoren gestern 500 Menschen nach Dessau zu mobilisieren. Sie trieb zum einen der Unmut über das Magdeburger Urteil. Zum anderen dürfte die zahlreiche Teilnahme eine Reaktion auf eine Eskalation vor einem Jahr gewesen sein. Damals schritt die Polizei massiv gegen den Mordslogan ein und versuchte, Transparente zu beschlagnahmen. Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen; Mouctar Bah erhielt Schläge auf den Kopf und musste die Nacht im Krankenhaus verbringen. Gestern hielt sich die Polizei auffällig zurück; es gab bis zum Redaktionsschluss dieser Seite keine Zwischenfälle.
Bei den örtlichen Initiativen dagegen herrscht nach dem Eklat bei der Gedenkfeier am Mittag Ratlosigkeit. Die Folgen seien »noch gar nicht abzuschätzen«, so Steckel. Und Ratzak Minhel, der Leiter des Multikulturellen Zentrums, wirft der Gedenkinitiative vor, abweichende Meinungen gewaltsam unterdrücken zu wollen: »Das ist keine Demokratie«, sagt er: »So verlieren sie viele Unterstützer, auch bei den Migranten.«
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