Malis Absturz ins Chaos

Nicht nur Tuareg und Islamisten sind verantwortlich für Krise und Krieg im Wüstenstaat

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Malis Präsident Dioncounda Traoré hat am Wochenende den Ausnahmezustand für den westafrikanischen Wüstenstaat verkündet. Er forderte von der Bevölkerung Geschlossenheit im Kampf um die Rückeroberung der von Islamisten besetzten Landesteile.

Lange galt Mali als ein demokratischer Musterstaat Afrikas. Ein Mehrparteiensystem sorgte zwischen 1992 und 2012 für friedliche Machtwechsel nach Wahlen. Doch nach einem Militärputsch gegen Präsident Amadou Toumani Touré in der im Süden gelegenen Hauptstadt Bamako am 22. März 2012 eroberten die Tuareg der Nationalbewegung MNLA gemeinsam mit mehreren Islamistengruppen wie der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) den Landesnorden. Tuareg-Söldner, die als Angehörige von Gaddafis »Grüner Legion« gekämpft hatten, waren nach dem Krieg in Libyen mit schweren Waffen über Niger nach Mali gezogen.

Im April wurde dort dann die unabhängige Islamische Republik Azawad ausgerufen, in der die Scharia mit eiserner Hand durchgesetzt werden soll. In der Weltkulturerbe-Stadt Timbuktu zerstörten Islamisten jahrhundertealte Mausoleen und andere Kulturschätze. Bald gab es zwischen den Gruppen selbst blutige Gefechte, Islamisten übernahmen in Nordmali endgültig die Macht. Laut westlichen Geheimdiensten zählen sie heute 6000 Mann, darunter Dschihadisten aus Ägypten, Sudan und anderen Ländern. In ihren Reihen kämpfen auch Angehörige des Tuareg-Volkes, die sich Ansar Dine nennen, und angeblich neuerdings Mitglieder der nigerianischen Islamistengruppe Boko Haram. Hinzu kämen bis zu 15 000 Bewaffnete ohne Militärausbildung. Angeführt von den Kämpfern der Terrororganisation Al Qaida im islamischen Maghreb (AQM) rückten sie in den vergangenen Wochen immer weiter Richtung Süden vor. Die demoralisierte malische Armee, die nach Expertenschätzungen nur noch 4500 bis 6000 Mann stark sein soll und von einigen Tausend Milizionären unterstützt wird, ergriff die Flucht. Die Streitkräfte seien nach dem Putsch entlang ethnischer Linien tief gespalten, was nach Meinung von Beobachtern auch europäische Militärausbilder nicht ändern könnten. Am 11. Dezember vergangenen Jahres zwang das Militär auch Cheick Modibo Diarra - erst Mitte April 2012 zum Chef der Übergangsregierung ernannt - zum Rücktritt. Interimsstaatschef Traoré, einst Parlamentspräsident, bestimmte Django Sissoko zum neuen Premier. Starker Mann in Bamako aber ist Putschistenführer Oberst Amadou Sanogo. »So lange das Problem in Bamako nicht gelöst ist, kann man das Problem des Nordens auch nicht lösen«, sagt deshalb der malische Autor und Filmemacher Manthia Diawara. Seit der Machtübernahme der Extremisten im Norden flohen Hunderttausende aus dem Gebiet und leben als Vertriebene im Sahel-Staat oder als Flüchtlinge in Nachbarländern. Der Konflikt hat den Kampf ums tägliche Überleben in dem bitterarmen Land weiter verschärft. Mali verfügt zwar über diverse Bodenschätze und ist einer der wichtigsten Baumwollproduzenten Afrikas, doch besteht sein Territorium auch zu 60 Prozent aus Wüste. Das jährliche Bruttonationaleinkommen pro Kopf betrug 2011 umgerechnet nur 610 US-Dollar. Die durchschnittliche Lebenserwartung der knapp 16 Millionen Einwohner liegt bei 51 Jahren. Durch den Bürgerkrieg leiden UN-Angaben zufolge inzwischen 4,6 Millionen Menschen an »Nahrungsmittelunsicherheit«.

In Westafrika befürchtet man schon länger eine Destabilisierung der Region. Vor allem Länder wie Côte d'Ivoire und Nigeria mit ihren großen muslimischen Bevölkerungsgruppen dringen auf eine schnelle Entsendung von Kampftruppen. Andere wie Algerien, das hofft, über einen Tuareg-Staat in Mali das eigene Tuareg-Problem lösen zu können, bremsen dagegen. Der UNO-Sicherheitsrat hat der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) das Mandat für eine Eingreiftruppe erteilt; die EU beschloss eine militärische Ausbildungsmission. Beides war aber erst im Lauf des Jahres geplant. Nun versucht Frankreich, mit Luftangriffen im Alleingang in der einstigen Kolonie früher Fakten zu schaffen - obwohl die »Menschen in Mali einer Militärintervention von außen sehr skeptisch gegenüberstehen«, wie Odile Tendeng, Programmkoordinatorin der Alliance for Peace Initiatives am Institut Gorée (Senegal), gegenüber »nd« betonte.

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