Ja, geht`s denn überhaupt noch?
Fußballfans sind in ihrem tiefsten Inneren Masochisten. „Shades of grey“ bauchen sie nicht, um Woche für Woche die subtilen Schattierungen zwischen tiefer Pein und roher Lust zu spüren. So viel zum Selbstbetrug. In Wahrheit hält die exakt bemessene Zeit zwischen 15 Uhr 30 und 17 Uhr 15 oftmals überhaupt keine Grauschattierungen parat. Sondern reines, ungefiltertes Schwarz, winters gerne in Tateinheit mit Temperaturen, die allenfalls das stolze Volk der Grönländer nicht von erotischen Gedanken abhalten. „I see a green field and i want it painted black“
Ich habe keine Ahnung, wer auf die schwachsinnige Idee kam, den Juni, Juli und August weitgehend ligafußballfrei zu gestalten und unschuldige Menschen stattdessen genau dann ins Stadion zu zwängen, wenn normale Leute aus Gründen der Selbsterhaltung in der heißen Badewanne übernachten, während draußen in der Fußgängerzone die Eisbären Pogo tanzen und Menschen über 40 aus Sicherheitsgründen ihre Bude nicht mhr verlassen. Keine Ahnung. Aber wenn ich zu „Wetten, dass“ eingeladen wäre (der Sendung schlechthin für Leute im heißen Badewasser) – ich würde wetten, dass die Schufte in einem Büro mit Seeblick in Nyon oder Zürich wohnen. Kavallerie ist firlefanz. Ein kleines Freudenfeuer am Genfer See würde zum Glück völlig reichen. Smoke on the water ......dä-dä-dä-dä-dä-dä-dää- ddä-dä-dä-dää-dä-dä..... schööööön. Aber reine Fiktion. Im echten Leben ist dieser Tage weit und breit kein fire in the sky.
Fußball im Januar ist eine Qual, eine Perversion, die selbst vorm Allerheiligsten eines jeden Fans nicht haltmacht; Bierbecher, oh, du Schrein und Reliquie unserer allmächtigen Gottheit – was nur ist aus deiner holden Gestalt geworden? Es dauert dieser Tage keine zehn Minuten und das frisch gezapfte Helle ist oben gelb und unten weiß – zumindest, wenn man den Becher umdreht. Wer`s nicht glaubt, bestelle beim Zapfer seines Vertrauens nicht feigerweis einen Glühwein (ja geht`s denn überhaupt noch?), sondern das Übliche. Zahlen, zielsicher Richtung Block schreiten. Sich kurz mit dem Kumpel verquatschen. Und beim geplanten tiefen Schluck aus dem Vollen merken, dass sich Eis nicht trinken lässt.
Vergangene Woche saß ich mit einem jungen Mann namens Hiroshi Kiyotake zum Zwecke des Gespräches beisammen. Der freundliche junge Herr, der für den 1. FC Nürnberg Dienst schiebt, wusste zu berichten, dass die deutsche Journalistenbrut sich beim Fußball seines Erachtens nicht für Fußball interessiere. Ständig müsse er Fragen nach dem Stand seiner Deutschkenntnisse beantworten, erzählen, ob ihm die frrrrängische Bratwurst munde (ja), der Glühwein (nein). Und überhaupt. Gehe es nicht eigentlich um das gute alte Runde-muss-ins-Eckige-Gedöns?
Oh doch. Und als jemand, der am vergangenen Wochenende von Samstag morgen bis Sonntag Nacht unterwegs war, um in Rheinland-Pfalz und Bayern viele, viele Worte über ein lausiges 0:0 und ein jeder Beschreibung spottendes 1:1 zu verlieren, kann ich dir, lieber Hiroshi, nur sagen: Sei froh, dass wir Journalisten-Heinis nicht über Fußball schreiben, wenn wir über Fußball schreiben. Ach, das siehst du anders? Komm vorbei, wir schauen uns die Wiederholung im Fernsehen an. Gibt auch literweise Glühwein.
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