Werbung

»Ich habe mich vom Fernsehen verabschiedet«

Dieter Hildebrandt über schlechtes TV und seine Zukunft im Internet

  • Lesedauer: 4 Min.
Er gilt als »Altmeister« des deutschen Kabaretts, und trotz seiner 85 Jahre ist Dieter Hildebrandt noch sehr aktiv. Er ist Zugpferd und »inhaltlicher Leiter« des geplanten Internetsenders »störsender.tv«. Dieses verspricht unabhängige Satire und Information und wird durch »Crowdfunding« finanziert. Diese Methode der Finanzierung, die über das Internet erfolgt, setzt auf die kleinen Beiträge vieler Internetnutzer. Das benötigte Startkapital von 125 000 Euro wurde bereits gesammelt. Im März will der Sender in Betrieb gehen. Mit Dieter Hildebrandt sprach Houssam Hamade.

nd: Warum wenden Sie sich von den großen Sendern ab - und dem Internetfernsehen zu?
Hildebrandt: Ich habe mich vom Fernsehen verabschiedet. Aber nicht etwa, weil ich das Fernsehen ablehne oder weil das Fernsehen mich schlecht behandelt hat, sondern weil ich das lange genug gemacht habe. Der Vorschlag mit dem Internetfernsehen kam von Stefan Hanitzsch, dem Sohn des Karikaturisten Dieter Hanitzsch, der ein guter Freund von mir ist. Der junge Hanitzsch meinte, dass er das Modell »Crowdfunding« sehr intelligent und demokratisch findet. Je mehr er mir davon erklärte, desto neugieriger machte mich diese Idee.

Welche Möglichkeiten bietet Ihnen die eigenständige Produktion im Internet?
Man kann in einem kleinen Raum, in einem Wohnzimmer oder in einem Büro eine Sendung herstellen. Das ist völlig anders als beim Fernsehen. Wir wollen einfach die Möglichkeit nutzen, auf diese Weise ein paar Meinungen zur Debatte zu stellen, zu sagen, was uns stört. Und wir hoffen, dass das dann auch sehr oft angeklickt wird.

Als Kritik am normalen TV-Programm ist Ihr Projekt also nicht zu verstehen?
Doch. Mein Unbehagen am TV-Programm, das ich empfange, das werde ich immer wieder äußern. Das ist ganz klar.

Was läuft im Fernsehen falsch? Machen die Programmchefs nur ihren Job nicht gut oder ist das Problem eher strukturelle Natur?
Die Tatsache, dass jetzt zum Beispiel jeder Haushalt eine Gebühr zahlen muss, bestätigt den Verdacht, dass dieses Gerät sowieso kein Kulturgerät ist, sondern eigentlich ein Haushaltsgerät. Und als solches wird es wahrscheinlich auch erfunden worden sein. Die Einschaltquote hat nichts zu tun mit dem, was die Leute empfangen. Sie stellen den Apparat ein und unterhalten sich dabei, oder machen ganz was anderes. Deswegen ist es durchaus logisch, dass der Haushalt das bezahlen muss.

Was ist im Internet anders?
Menschen, die wirklich interessiert sind, müssen quasi aktiv einschalten. Ich glaube, das Fernsehen will seinen Auftrag gar nicht mehr erfüllen. Das sieht man an dem Programm. Es gibt 32 verschiedene »Tatorte«. Wer will denn immer wieder diese »Tatorte« sehen? Ununterbrochen sieht man Sport, den man nicht unbedingt sehen muss - hoch bezahlt, aber langweilig. Das Fernsehen hat wahrscheinlich gar nicht mehr das Ziel, das es vor 30 Jahren hatte, nämlich eine Einrichtung zur Information und zur Bildung zu sein.

In den Berichten über »störsender.tv« wird viel über Ihre Wut gesprochen ...
Wir wissen ganz genau, dass die Jubeldaten über die soziale Situation nicht übereinstimmen mit der Wirklichkeit. Zum Beispiel wird uns immer wieder in Zahlen dargestellt, dass die Arbeitslosigkeit angeblich sinkt. Gleichzeitig steigt aber die Zahl der Minijobs. Das ist ein Missverhältnis, das auf einer wissentlich falschen Information fußt. Und die Politik der Bundeskanzlerin: wie sie mit Brüssel umgeht, wie sie vorhat, das Parlament zu entmachten - das sind alles Themen, die Zorn verursachen. Politiker gehen davon aus, dass wir inzwischen so mit Meldungen und Informationen zugemüllt sind, dass wir die Wirklichkeit nicht mehr begreifen.

Was kann Satire noch ausrichten? Man lacht zwar, aber was ändert das?
Als ich Günter Grass einmal fragte, ob er einen Kabarett-Text schreiben würde, hat er gesagt, er ist sich nicht so sicher, was das für eine Wirkung hat. Darüber war man sich vor 3000 Jahren auch schon nicht sicher. Und es ist immer wieder geschrieben worden, zu unserem großen Vergnügen immer wieder gelesen worden. Selbst, wenn es nur eine im Niveau angehobene Unterhaltung wäre, würde es schon etwas bewirken. Das wäre schon etwas. Und vielleicht würde es sogar Meinungen erzeugen.

Und veränderte Meinungen erzeugen verändertes Verhalten?
Man kann dazu auffordern, vielleicht sich ein wenig zu beschweren, ein bisschen anders zu wählen, das wäre doch das Richtige. Wir erfahren ja jetzt immer wieder, dass es überraschende Entscheidungen gibt seitens der Wähler. Das gab es früher nicht. Die Menschen hatten früher ein richtiges Beharrungssystem, die wählten immer das, was der Vater schon gewählt hatte. Inzwischen ist das anders. Inzwischen müssen Politiker schon ein bisschen sorgfältig umgehen mit ihren Äußerungen.

Liegt die Zukunft der kritischen Unterhaltung im Internet, weil man dort als Kabarettist freier als im Fernsehen sein kann?
Das Internet bietet dafür zumindest die Möglichkeiten. Man sieht, dass da etwas entsteht, das die eingetretenen Pfaden verlässt. Und das hat mich an diesem Internetprojekt interessiert. Ich bin technisch kein besonders beschlagener Mensch und ich bin auch überhaupt kein Computerfachmann. Aber ich werde versuchen, hineinzukommen in dieses Medium und ich werde mich bemühen, es zu verstehen.

www.startnext.de/stoersender

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.