Eine Milliarde Menschen sollen sich erheben

Beim heutigen V-Day protestieren Aktivisten auf der ganzen Welt gegen die Misshandlungen von Frauen

  • Lesedauer: 4 Min.
Karin Heisecke kämpft seit 20 Jahren als feministische Aktivistin. Seit 2001 gehört sie der internationalen Bewegung V-Day an, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzt. Heisecke verantwortet beim V-Day die politische Mobilisation auf EU-Ebene sowie die Organisation der Kampagne One Billion Rising (OBR) in Deutschland. Mit ihr sprach für »neues deutschland« Martin Lejeune.
Karin Heisecke
Karin Heisecke

nd: Was genau ist das heute stattfindende One Billion Rising (OBR)?
Heisecke: OBR ist eine internationale Kampagne, die dazu aufruft, dass eine Milliarde Menschen sich erheben, um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Anlass ist der 15. Geburtstag der internationalen Bewegung V-Day, die 1998 am Valentinstag von der Autorin und Aktivistin Eve Ensler gegründet wurde.

Die Feministin Ensler ist auch die Autorin des Theaterstücks »Vagina Monologe«, das heute im Rahmen von V-Day auf der ganzen Welt gespielt wird.
Das Theaterstück entstand aus Interviews mit 200 Frauen über ihren Körper und ihre Sexualorgane. Nach den ersten Aufführungen kamen häufig hinterher Frauen zu Ensler in die Garderobe und dankten ihr. Diese Frauen berichteten ihr meistens auch von Gewalterfahrungen. Ensler merkte, dass dieses Stück die Frauen zum Reden anregt und dazu, Erfahrungen zu teilen. Seitdem stellt Ensler alljährlich das Stück für Benefizaufführungen zugunsten von Frauenorganisationen zur Verfügung.

Ensler hatte vor 15 Jahren die Vision, dass Gewalt an Frauen innerhalb von fünf Jahren aufhören soll. Wieso ist das nicht passiert? Warum üben Männer weiterhin so häufig Gewalt gegen Frauen aus?
Die Frage muss sich jeder Mann, der Gewalt gegen Frauen ausübt, selber stellen. Männer sind ja auch von Gewalt betroffen. Aber Männer sind häufig von Gewalt von anderen Männern betroffen. Und Frauen sind häufiger von Gewalt von Männern betroffen. Letztendlich hat das mit Machtstrukturen zu tun. V-Day wird solange weitermachen, bis die Gewalt gegen Frauen aufhört. Laut einer UNO-Statistik wird jede dritte Frau auf der Welt misshandelt. Auf der Erde leben sieben Milliarden Menschen. Davon sind ungefähr die Hälfte Frauen. Also haben rund eine Milliarde Frauen Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Deswegen rufen wir dazu auf, dass sich eine Milliarde Menschen erheben sollen. OBR will, dass diese enorme Zahl sichtbar gemacht wird.

An wen richtet sich OBR? Nur an Frauen?
Natürlich nicht. Die Kampagne richtet sich an alle Menschen, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzen. Wenn weltweit mindestens eine Milliarde Menschen dagegen protestieren, dann wären das mindestens genauso viele Menschen, wie es Frauen gibt, die Gewalt erfahren haben.

In welcher Form sind Männer bei V-Day beteiligt?
Viele Männer sind bei V-Day aktiv und bieten sogar Workshops an, in denen sich Männer austauschen, was für sie Männlichkeit bedeutet und welche Rolle Gewalt für sie spielt. Der US-Schauspieler Robert Redford zum Beispiel ruft zur Teilnahme an OBR auf.

Gibt es heute in Deutschland eine zentrale Veranstaltung?
V-Day und OBR sind dezentrale Bewegungen. V-Day ruft die Menschen nur dazu auf, sich zu beteiligen. Das führt dann dazu, dass weltweit künstlerische Aktionen stattfinden. Dieser Tag umspannt die ganze Welt.

Was genau machen die Aktivisten heute?
Sie tanzen, sie streiken, sie unterbrechen ihren Alltag in unterschiedlicher Weise, um deutlich zu machen, dass es so nicht weiter geht.

Warum wird eigentlich getanzt?
Die Idee ist, dass Tanzen etwas sehr Befreiendes hat. Wenn man sich tanzend bewegt, setzt man eine positive Energie frei, man nimmt Raum ein, man kann sinnlich sein und man ist nicht eingeschränkt. Es geht darum, diese positive Energie, dieses positive Körpergefühl, diese Freiheit, die man dabei empfinden kann, zu erleben, und dann diese Energie als Ausgangspunkt für Aktionen zu nutzen.

Was soll und kann OBR für die Zukunft bewirken?
Dieser Tag ist auch eine Aufforderung zum Handeln. Wir wollen, dass eine Milliarde Menschen, die daran teilnehmen, die mit uns tanzen werden, sich auch dazu verpflichten oder sich selber oder anderen gegenüber ein Versprechen machen, dass sie in den nächsten zwölf Monaten etwas Konkretes gegen Gewalt gegen Frauen tun werden. Das kann alles Mögliche sein, was jeweils im eigenen Zusammenhang passt. Es kann sein, dass man sich, wenn jemand einen sexistischen Witz macht, dagegen ausspricht. Oder man setzt sich für ein neues Gesetz ein. Auch kreative Aktionen sind hilfreich, wenn jemand beispielsweise einen Film dreht oder einen Rap-Song schreibt, wie es zum Beispiel die Berliner Hip-Hop-Künstlerin Sookee für OBR getan hat.

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