Wissenschaftsbetrug mit System

Abkupfern, tricksen, täuschen - nicht nur Politiker plagiieren, sondern auch Akademiker

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Fall Annette Schavan hat wieder einmal die Debatte angefacht - über die Schwäche der Politik für Doktortitel, über ihre Anfälligkeit für die Versuchungen des Plagiats. Die Wissenschaft hingegen, insbesondere die Naturwissenschaft, scheint gegen diese Versuchungen immun zu sein.

Nach dem Rücktritt der Wissenschaftsministerin Annette Schavan hat das anständige Deutschland ein weiteres Mal über die unanständigen Politiker gesiegt, die erneut den Wissenschaftsbetrug in die ehrenwerte akademische Gesellschaft eingeschleppt haben. Diese politische Kommentierungslinie wurde von zahlreichen Journalisten und Bloggern mehr oder weniger vehement eingenommen. So stellt Wolfgang Münchau in einer »Spiegel online«-Kolumne fest: »Der simple Grund, warum es in England oder den USA kein Problem mit abgekupferten Promi-Dissertationen gibt: Dort haben nur die wenigsten Politiker einen Doktortitel.«

Nur etwas für Weicheier?

Die Plagiatoren tummelten sich zudem gerne fast nur in den Sozi-al-, Geistes- und Rechtswissenschaften, während die »harten Disziplinen wie Mathematik oder Physik« davon frei seien. Der Wissenschaftsbetrieb und die akademische Gesellschaft sind also im Gegensatz zur Politik nicht korrupt, allenfalls gibt es bei den ideologielastigen Geisteswissenschaften ein paar Anfälligkeiten. Das klingt doch beruhigend, oder?

Es stimmt nur nicht. Noch im Dezember vergangenen Jahres wurde ein Fall von zwei Naturwissenschaftlerinnen der zell- und immunbiologischen Abteilung am Forschungszentrum Borstel publik, gegen die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wegen Datenmanipulation ermitteln ließ. Sie dürfen nun für drei Jahre keine Förderanträge an die DFG stellen oder als Gutachterin tätig werden, mit anderen Worten, Geld mit der DFG einsammeln. Ob es sich bei den Datenmanipulationen von Naturwissenschaftlern um die »viel häufigere Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens« handelt, wie die Wissenschaftsjournalistin Heike Schmoll einschätzt, soll hier nicht beurteilt werden. Was man jedoch zur Kenntnis nehmen sollte, ist der fruchtbare Boden, auf dem der Wissenschaftsbetrug innerhalb der akademischen Welt selbst gedeiht. Dafür stehen nicht nur Datenmanipulationen, die mit geldwerten Vorteilen verbunden sind. Gewerbsmäßige Ghostwriter bieten inzwischen ihre Dienste für jeden Studienabschluss und alle anderen akademischen Qualifikationen an. Sie stehen nicht außerhalb, sondern innerhalb des mehr und mehr marktförmig organisierten Wissenschaftsbetriebes. Mit einem feinen Unterschied: Wenn ein Student beim Täuschen erwischt wird, riskiert er seine akademische Perspektive. Wer als Professor auf einen Ghostwriter zurückgreift, kann auf Nachsicht hoffen und behält seinen Status.

Den Annette Schavan vorgeworfenen Wissenschaftsbetrug zugrunde gelegt, müssten sich eigentlich zahlreiche Professoren, die von ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern abkupfern, Sorgen um ihre Zukunft machen. Schavan wurde vorgeworfen, »systematisch und vorsätzlich« gedankliche Leistungen vorgegeben zu haben, die sie nicht erbracht hat.

Zum Schweigen verurteilt

Folgt man dem Münchner Rechtswissenschaftler Volker Rieble, der eine der wenigen aktuellen Untersuchungen zum Thema verfasst hat, kommen Plagiate »im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb ständig vor«. Professoren eignen sich dabei häufig die Arbeitsergebnisse ihrer Studenten und Assistenten an, die häufig aus persönlicher Abhängigkeit zum Schweigen verurteilt sind. Im Extremfall halten sie auch noch für ihre Chefs den Kopf hin. Rieble nennt hier den Fall des Darmstädter Professors Axel Wirth, der Plagiatsvorwürfe erfolgreich auf seinen Assistenten abgewälzt habe: »Der Assistent wird vernichtet - Vertrag nicht verlängert, Dissertationsbetreuung eingestellt.« Wirth dagegen habe ein universitärer Ombudsman tadelloses Verhalten bescheinigt.

Fliegen Plagiatsfälle auf, schützt der Beamtenstatus häufig vor weitreichenden Sanktionen. Studierenden drohen dagegen wie im nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz Geldstrafen bis zu 50 000 Euro. Die mit dem Fall Schavan verbundene Debatte um titelsüchtige Politiker ist eine fatale Verharmlosung der sozialen Dimension von Wissenschaftsbetrug, bei dem ein Teil der akademischen Eliten seine privilegierte Stellung schamlos ausnutzt und sich Leistungen des abhängigen studentischen oder akademischen Personals relativ risikoarm aneignen kann.

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