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Der singende Wutbürger

  • Lesedauer: 6 Min.
Ob man ihn nun liebt oder hasst, Konstantin Wecker, 65, ist längst anerkanntes deutsches Kulturgut geworden. Und trotzdem hat der Sänger eins nie geschafft: Ein Live-Album so zu produzieren, dass es seinen eigenen Ansprüchen genügt. Aber mit seinem neuesten Opus »Wut und Zärtlichkeit - Live« ist für ihn alles anders. Dem nicht genug: In diesem Jahr bekommt der scharfzüngige Spötter den Ehrenpreis der Jury des Bayerischen Kabarettpreises verliehen, am morgigen Dienstag tritt er in der Berliner Philharmonie auf. Olaf Neumann sprach mit Konstantin Wecker über die Krise der Demokratie, den gierigen Kapitalismus und neue musikalische Herausforderungen.

nd: Herr Wecker, braucht man in Zeiten von YouTube noch Live-Alben?
Wecker: Ja, gerade weil dieses Album sehr gut produziert ist. Die Live-Power der neuen Lieder und die Spielfreude der Band sind hier ganz deutlich zu spüren. Ich habe leider auch ein paar sehr schlecht produzierte Platten herausgebracht. Man darf als Musiker nicht den Fehler machen, seine Alben selbst zu produzieren.

In dem Lied »Absurdistan« zählen Sie in aller Klarheit auf, was Ihnen in diesem Land gegen den Strich geht: »Bild«, Nestlé, Vatikanbank, Heckler & Koch, Sarrazin, Kerner, RTL 2 etc. Sie hätten hier ja auch verallgemeinernde Bezeichnungen verwenden können, um die Gefühle der Angesprochenen zu schonen …
Ich möchte nie in meinem Leben die Gefühle von Heckler & Koch schonen. Mir geht es hier eigentlich auch gar nicht um Personen, sondern um Institutionen und Strukturen. Die Privatsender habe ich deswegen im Visier, weil sie offensichtlich nur für die Werbekunden ein Programm machen, und schon kommen solche Abscheulichkeiten wie das »Dschungelcamp« dabei heraus.

Schauen Sie sich denn das »Dschungelcamp« zwecks Recherche an?
Ich habe in die letzte Staffel kein einziges Mal rein gesehen, die Zeit habe ich gar nicht. Aber ich habe auf meiner Internetseite einen ausgezeichneten Artikel von einem Politologen verlinkt. Er stellt das »Dschungelcamp« in einen politischen Zusammenhang und zieht sogar Vergleiche bis zur Weimarer Republik. Da habe ich gemerkt, dass ich auch unter meinen Facebook-Freunden Dschungelcamp-Anhänger habe. Diese meinen, man könne doch einfach mal Amüsement Amüsement sein lassen. Natürlich muss man nicht alles in einen politischen Zusammenhang stellen, aber es ist interessant, es doch einmal zu tun. Leider wollen auch viele kluge Menschen über bestimmte Dinge nicht weiter nachdenken, denn dann müsste man als Folge unter Umständen sein Leben ändern. Wie sagte Dieter Hildebrandt so schön: »Die öffentlich-rechtlichen Sender machen sich vor Angst in jede Hose, die man ihnen hinhält, und die Privaten senden das, was drin ist.«

Wie überlebt man als mitfühlender Künstler in »Absurdistan«?
Ich bin trotzdem ein sehr hoffnungsfroher Mensch, obwohl ich in vielen Punkten langsam am Verzweifeln bin. Mein Publikum rettet mich davor, zum Zyniker zu werden. Ich bin fast jeden Abend mit Menschen zusammen, die ähnliche Sehnsüchte und Vorstellungen vom Leben haben wie ich. Das macht Mut.

Erich Kästners »Ansprache an Millionäre« gerät bei Ihnen zum Blues. Nun will die Linkspartei Millioneneinkommen mit 75 Prozent versteuern. Millionäre zahlen bislang nur einen vergleichsweise geringen Steuersatz, und das nicht nur in Deutschland. Soll man nett zu Kapitalisten sein?
Nein, natürlich nicht. Ich bin selbst jemand, der nicht schlecht verdient, aber ich bin durchaus bereit, meine Steuern zu zahlen. Ich weiß nicht, ob die Linkspartei sich mit dieser Forderung einen Gefallen tut, weil es in Deutschland schnell heißt, es sei eine Neiddebatte. Aber ich persönlich finde es richtig, Einkommen ab einer bestimmten Höhe mit 75 Prozent zu besteuern. Man geht in einigen Liedern gegen die Spekulanten und die Börsianer vor, aber eigentlich machen diese im Sinne des Systems alles richtig. Denn das kapitalistische System erwartet ja, dass man aus wenig Geld mehr Geld macht. Nicht einzelne, sondern das System an und für sich läuft aus dem Ruder. Wir tun immer so, als könne man ohne den Kapitalismus gar nicht leben, aber meines Erachtens geht er dem Ende entgegen. Das Neue darf aber kein altbackener Sozialismus sein, sondern eben etwas wirklich Neues. Und daran sollte man arbeiten, statt zu versuchen, das alte System zu retten. Denn dieses funktioniert lediglich für ein Prozent der Menschheit.

Wie könnte ein gerechteres Wirtschaftssystem konkret aussehen?
Der österreichische Ökonom Christian Felber zum Beispiel hat die Gemeinwohl-Ökonomie entwickelt und darüber ein Buch geschrieben. Dieses kleine Büchlein enthält großartige Gedanken, wie man im Übergang etwas ändern könnte. Dies müsste in Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen geschehen, die selbst bereit sind, nicht einfach nur Geld zu vermehren, sondern auch nachhaltig zu wirtschaften und immer auch einen Teil des erworbenen Geldes dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen.

Der Markt ist zu einem sich selbst genügenden System geworden, das sich der Macht der Politik entzieht. Ist eine Verabschiedung vom Kapitalismus nicht eine Utopie?
Ich weiß, dass es eine Utopie ist, aber wir Künstler müssen in der Lage sein, Utopien anzudenken. Es gibt einen schönen Satz von Oscar Wilde: »Eine Landkarte, auf der Utopia nicht verzeichnet ist, ist für mich keinen einzigen Blick wert.« Wenn viele das Unmögliche denken und sich herantrauen, dann kann es möglich werden. Und warum sollten Künstler nicht diejenigen sein, die mit dem anderen Denken beginnen? Wissenschaftler tun es ja auch. In der Wissenschaft hätte es nie einen Fortschritt gegeben, wenn nicht kreative Genies etwas völlig Neues gewagt hätten.

Was können Lieder letztendlich bewegen?
Auf der Bühne sage ich oft scherzhaft: »Wenn Sie sich vorstellen, dass ich vor 40 Jahren angetreten bin, diese Welt mit meinen Liedern zu verändern, und wenn ich mir die Welt heute so anschaue, dann muss ich sagen: Ich war es nicht!« Ich habe nie geglaubt, dass man mit Liedern ein politisches System verändern kann, aber man kann beim Menschen etwas bewirken und ihm Mut machen, zu sich selbst zu stehen.

Interessant ist am Refrain des antifaschistischen Liedes »Sage Nein!« besonders das ganz bewusste Einbeziehen der ungeliebten Banker in den Wir-Kreis, den Kreis der Leidtragenden.
Ich bin der Meinung, dass es gerade beim Thema Faschismus eine ganz breite Front geben sollte. Ich unterscheide schon zwischen einem Banker und einem Börsianer, es gibt ja auch anständige Banker. Zum Beispiel in der Sparkasse oder der Raiffeisenbank. Das sind nicht meine Feinde. Ich bin seit Jahrzehnten bei einer Volksbank, da fühle ich mich sehr gut behandelt. In der Zeit, in der es mir sehr schlecht ging, haben sie mich nicht fallen gelassen. Auch habe ich schon reiche Unternehmer kennengelernt, die vielleicht nicht unbedingt den Kapitalismus abschaffen wollen, aber durchaus an einer gerechteren Gesellschaft interessiert sind.

Der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim ist der Meinung, die Bundesrepublik Deutschland sei keine echte Demokratie mehr. Er meint, Deutschland werde mittlerweile von einer »politischen Klasse beherrscht«. Wie sehen Sie das?
Wo gibt es eine echte Demokratie? Demokratie ist etwas Lebendiges und man muss sie sich immer wieder erarbeiten und wachsam sein. Aber wir haben natürlich demokratische Strukturen. So kann ich zum Beispiel ein spöttisches Lied über die Kanzlerin machen, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen. Es gibt kritische Bücher und wir dürfen wählen. Aber eigentlich müssten wir den Vorstand der Deutschen Bank wählen dürfen. Im Endeffekt wählen wir doch mehr oder weniger Marionetten. Mir tun manche Politiker richtig leid, denn sie sind gefangen in einem Netz aus Lobbyismus und an eine Parteistruktur gebunden.

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