Widerstand gegen stilles Caja-Begräbnis

Costaricaner begehren gegen die Dauerkrise der staatlichen Sozialversicherung auf

  • Markus Plate
  • Lesedauer: 4 Min.
Costa Rica galt in Mittelamerika bisher als der einzige Staat mit einem funktionierenden Sozialsystem. Das aber ist jetzt gefährdet.

Er ist einer der höchsten Türme San Josés. Mit elf Stockwerken thront er stolz über dem Zentrum der Stadt und dient den Hauptstädtern, den Josefinos, als Orientierungspunkt. Das imposante Gebäude beherbergt die Costaricanische Sozialversicherung (CCSS). Die »Caja«, wie die »Kasse« in Costa Rica genannt wird, ist eine Errungenschaft, die in Zentralamerika ihresgleichen sucht: ein System, das auf Solidarität beruht und durch den Staat, von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen finanziert wird. Die Caja zahlt monatlich rund 190 000 Rentnern die Pension, ihre Gesundheitsposten und Kliniken sind Anlaufpunkt für alle, die sich keine private Versicherung leisten können oder wollen.

Seit geraumer Zeit steckt die Caja aber in der Krise. Die Qualität der medizinischen Leistungen sinkt bedrohlich, die Patienten klagen über endlose Warteschlangen. Mittlerweile ist die Caja mit rund zwei Milliarden Dollar im Minus. So schuldet sie den eigenen Angestellten Löhne und Sozialleistungen, über Monate herrschte im vergangenen Jahr Medikamentenknappheit, medizinisches Gerät kann oftmals nicht gewartet oder repariert werden, rund fünfzig der Ebais genannten Gesundheitsposten stehen ohne Finanzierung da.

Die chronische Geldknappheit der Caja hat Gründe. Zum einen kommen weder Privatunternehmen noch staatliche Arbeitgeber ihren Zahlungsverpflichtungen vollständig nach. Die Liste der Schuldner ist lang und reicht von der USA-Botschaft über Bananenexportunternehmen bis zu Gemeinden. Und der Staat scheint seine Finanzen auf Kosten der Caja frisieren zu wollen, er schuldet der CCSS mittlerweile umgerechnet 750 Millionen Dollar.

Dazu kommt, dass im Gesundheitssystem selbst auch noch Geld verschwendet wird. Im vergangenen Jahr kam ans Licht, dass die Caja bei »befreundeten« Firmen Medikamente zu stark überhöhten Preisen eingekauft hatte. Nur einer von vielen Skandalen.

Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen die Aufwendungen für Gesundheitsleistungen in Costa Rica derzeit bei gut fünf Prozent - zu wenig, um dem eigenen Auftrag gerecht zu werden. So sind die Krankenhäuser in die Jahre gekommen, die meisten wurden in den 60ern und 70ern erbaut, für eine Bevölkerungszahl, die seinerzeit nicht mal die Hälfte der heutigen ausmachte. Den akuten Investitionsbedarf schätzt die Caja auf rund eine Milliarde Dollar.

Immerhin verweist die neue Präsidentin der CCSS, Ileana Balmaceda, auf erste Erfolge. Die Medikamentenrechnung sei um mehrere Millionen Dollar gedrückt worden, Überstundenhonorare für das medizinische Personal um fast die Hälfte. Just dieses Personal geht deswegen auf die Barrikaden und wirft der Leitung das Kaputtsparen der Caja vor.

Die Regierung, Manager und einige Ärzte der Caja sehen sich aber noch ganz anderer Kritik ausgesetzt. Der linke Abgeordnete José Maria Villalta und der Generalsekretär der Mitarbeitergewerkschaft der CCSS, Luis Chavaria, werfen ihnen vor, die Caja ganz bewusst gegen die Wand zu fahren, um mehr und mehr Gesundheitsleistungen und nach Möglichkeit die gesamte Rentenversicherung zu privatisieren. Auf die Gesundheit als hochprofitables Geschäft haben viele in Costa Rica ein Auge geworfen: Unternehmerfamilien und transnationale Unternehmen, die Wirtschaft und Politik des Landes kontrollieren; Chefärzte, die in Privatkliniken weit mehr Geld verdienen können, obwohl sie auch von der Caja gut bezahlt werden; Politiker und Manager, die mit einer »Abwrackprämie« rechnen dürfen.

Doch ein stilles Begräbnis der Caja, zu dem nur die engsten Angehörigen und Erben geladen sind, wird es nicht werden. Für die Ticos, wie sich die Costaricaner nennen, hat die CCSS immer noch hohen Symbolcharakter. Im November nahmen Tausende an einer Demonstration auf den Straßen San Josés teil und sangen, ihre Caja stehe »nicht zum Verkauf«. Säumige Zahler müssten gezwungen werden, pünktlich ihre Beiträge zu entrichten, intern müssten bessere Kontrollmechanismen den Betrugs- und Korruptionsfällen zu Leibe rücken. Vor allem aber müsse die CCSS entpolitisiert werden, ihr Direktorium solle nicht länger Spielball der Politik sein.

Die Demonstration wurde von der Polizei brutal unterdrückt. Es war das erste Mal, das die Regierung in der Hauptstadt Menschen niederprügeln und willkürlich verhaften ließ. Die wohl als Warnschuss gegen allzu mündige Bürger gedachte Polizeiaktion könnte für die Regierung von Präsidentin Laura Chinchilla allerdings nach hinten losgehen. Sollte es bis Mitte des Jahres keinen Maßnahmekatalog geben, um die Caja wieder flott zu machen, wurde für den gesamten öffentlichen Dienst mit einem Generalstreik gedroht. Für Chinchillas sozialdemokratische Partei der Nationalen Befreiung ist das im Vorwahljahr keine allzu rosige Aussicht.

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