Im schmutzigen Krieg - hier und überall

»Coca - Die Taube aus Tschetschenien« und »Weiße Raben«

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie sind Verletzte, Traumatisierte, Gezeichnete. Menschen, deren Geschichten über Verlust und Ängste niemand hören will. Die Familie nicht, das Land nicht und die um Konfliktveränderung bemühte Weltöffentlichkeit schon gar nicht. Russische Soldaten in einem schmutzigen Krieg, die einen, tschetschenische Zivilisten und notgedrungene Widerstandsaktivisten die anderen. Russische Männer auf der einen, tschetschenische Frauen auf der anderen Seite - in diesem konkreten Fall zumindest, denn dass es nicht nur auf russischer Seite mächtige Männer gibt, die aus ökonomischen Gründen an der Fortsetzung des Kriegszustandes in Tschetschenien interessiert sind, daraus machen selbst die tschetschenischen Aktivistinnen für Frieden und Gerechtigkeit keinen Hehl, die Eric Bergkraut für seinen Schweizer Dokumentarfilm »Coca - Die Taube aus Tschetschenien. Europa und sein verleugneter Krieg« auf ihren gefährlichen Wegen begleitete. Sie setzen sich dafür ein, dass dieser verdrängte Krieg nicht vollständig vergessen wird. Einen Demokrat reinsten Wassers mag Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder Kreml-Chef Wladimir Putin genannt haben, zustimmen kann man dem kaum. Spätestens dann nicht mehr, wenn man die beiden Dokumentarfilme dieser Kino-Woche gesehen hat, die sich mit dem Minenfeld Tschetschenien beschäftigen. Dass es mitnichten Anti-Terror-Maßnahmen sind, mit denen Putin und wechselnde mehr oder weniger rechtmäßig gewählte tschetschenische Marionetten-Präsidenten eine ganze Region in kolonialer Abhängig zu halten bemüht sind, sondern gezielte Verunsicherungspolitik, systematische Verschleppung, Folter und Mord nahe an der Grenze zum Völkermord, dass die repressive Politik des Kremls die viel zitierte potentielle Terrorgefahr des Islamismus im Land überhaupt erst hervorgerufen oder zumindest im Entstehen gefördert hat, dafür liefert Bergkraut mit der Hilfe der Aktivistinnen von »Echo of the War« gute Argumente und jedenfalls den Ansatz eines bildlichen Beweises. Denn die tschetschenische Friedensaktivistin Sainap Gaschaiewa, von ihren Eltern einst Coca, Taube, genannt und am vergangenen Sonntag in Köln mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte ausgezeichnet, und ihre Mitstreiterinnen sammelten seit Kriegsbeginn filmische und fotografische Aufnahmen, die als Beweismaterial in den beginnenden Menschenrechts-Prozessen vor dem Europäischen Gerichtshof jedenfalls für nachträgliche Gerechtigkeit sorgen sollen, wenn denn schon für einen mutmaßlich deutlich zweistelligen Prozentsatz des tschetschenischen Volkes jede praktische Hilfe zu spät kommt. Berge von Video-Kassetten sieht man da, in dunklen Nischen heimlich gestapelt, vergraben, in unauffälligen Plastiktüten von einer konspirativen Wohnung zur nächsten befördert, außer Landes geschmuggelt, mühsam gewaschen und restauriert, wo Zeit und Umstände ihrer Abspielbarkeit zugesetzt hatten. Und endlose Fotoalben mit Bildern verstümmelter Zivilisten, von denen oft nicht viel mehr blieb als diese Abbildungen, von Massengräbern, toten Kindern und anderen Gräueltaten der russischen Truppen und Spezialeinheiten. Mit dieser anderen Seite auf dem Schlachtfeld setzt sich »Weiße Raben - Albtraum Tschetschenien« des deutschen Regie-Gespanns Johann Feindt und Tamara Trampe auseinander. Sie gehen womöglich noch einen Schritt weiter und untersuchen das Wesen des Krieges selbst, seine Auswirkungen auf die Psyche und Physis der Soldaten, die ihm auch nur für kurze Zeit ausgesetzt waren. Um zu zeigen, wie verheerend die Wunden sind, die der Krieg hinterlässt, interviewten sie zwei junge russische Rekruten, die ohne Wissen ihrer Familien gleich beim ersten Einsatz nach Tschetschenien geschickt und dort verkrüppelt wurden - seelisch der eine, körperlich der andere -, eine russische Krankenschwester, die sich der besseren Bezahlung wegen freiwillig nach Tschetschenien verpflichtete und mit bleibenden Schäden zurückkehrte, und einen russischen Afghanistan-Veteranen, der sich in diesem vorletzten russischen Krieg der scheußlichsten Vergehen schuldig machte. Die Zerstörung von Körpern und Persönlichkeit ist dieselbe bei den Soldaten wie bei den Opfern: Wer von den russischen Rekruten am Leben bleibt, findet sich nach der Heimkehr im Alltagsleben nicht mehr zurecht, wer als Zivilist die Säuberungswellen wieder einmal überstanden hat, kann doch nicht anders, als bei jedem Gespräch unweigerlich früher oder später wieder von den Kriegsgräueln zu reden. Weiße Raben seien sie, sagt einer der Rekruten: Etwas Lebendiges, das unnatürlich wirkt, das es so eigentlich gar nicht geben sollte. Gewinner wird es keine geben in diesem schmutzigen Krieg, so viel machen beide Filme unmissverständlich klar. Und dass es die Kriegsgewinnler sind, die unterdessen im Windschatten internationaler Teilnahmslosigkeit für immer noch mehr Verlust von Leben sorgen. Auf beiden Seiten.
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