Beteiligung im Arbeitskampf

Mehr Teilnehmer als erwartet / Spannende Debatten: die RLS-Konferenz »Erneuerung durch Streik«

  • Jörg Meyer, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Erneuerung durch Streik? Über die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung und erfolgreiche Beispiele neuer, partizipativer Streikformen diskutierten am Wochenende Hunderte GewerkschafterInnen.

»Oft müssen wir erst einmal zeigen, dass wir streiken können, damit die Arbeitgeber überhaupt ein Angebot vorlegen«, sagte Günter Busch, ver.di-Landesvize von Baden-Württemberg, bei der Auftaktveranstaltung. Tarifrunden sind härter geworden, häufiger als früher kommt es in vergleichsweise kleinen Auseinandersetzungen zu Warnstreiks und Streik.

In Stuttgart begann am Freitagabend die Konferenz »Erneuerung durch Streik - Erfahrungen mit einer aktivierenden und demokratischen Streikkultur«, der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Ein Wochenende lang trafen sich Haupt- und Ehrenamtliche aus verschiedenen DGB-Gewerkschaften, Bewegungsaktivisten und WissenschaftlerInnen, um sich über ihre Erfahrungen mit Arbeitskämpfen, die Entwicklung neuer Streikstrategien und deren Umsetzung auszutauschen.

Im Vorfeld der Konferenz war eine aktuelle Studie der Wissenschaftlerin Catharina Schmalstieg erschienen. Sie geht der These nach, dass mehr Beteiligung bei Tarifauseinandersetzungen zu größerer Mobilisierungsfähigkeit und letztlich zu stärkeren Gewerkschaften führen. Allein die Tatsache, dass die erste Auflage nach nur einer Woche komplett vergriffen war, zeigt, wie sehr das Thema bei GewerkschafterInnen auf Interesse stößt.

Knapp 500 Menschen waren der Einladung von RLS und dem ver.di-Bezirk Stuttgart in die Landeshauptstadt gefolgt. »Die Teilnehmerzahlen übertreffen alle Erwartungen«, sagte Fanny Zeise von der RLS bei der Begrüßung im Stuttgarter Gewerkschaftshaus. Zusammen mit Florian Wilde hat sie die Konferenz organisiert. Sie hätten sich als Ort bewusst den ver.di-Bezirk Stuttgart ausgesucht, sagt Wilde gegenüber »nd«. Stuttgart habe sich in den letzten Jahren durch neue Streikstrategien und einen basisorientierten, partizipativen Gewerkschaftsansatz ausgezeichnet. Tatsächlich ist es hier gelungen, beispielsweise mit einem über einjährigen Arbeitskampf Unternehmen wie die Modeketten H&M oder ZARA in die Tarifbindung zu zwingen. Oder Erfolge mit neuen Streikstrategien zu erzielen, die von den Beschäftigten während des Arbeitskampfes entwickelt wurden. »In Stuttgart kommt die Gewerkschaft in Bereiche, die sonst nur schwer zu erreichen sind«, sagt Wilde. Dass das klappt liegt auch daran, dass in Stuttgart seit Jahren auf Beteiligung gesetzt wird. Große Streikleitungen und tägliche Streikversammlungen sind nur zwei der Komponenten, von denen Bernd Riexinger in seiner Rede am Samstag sprach. Vor seinem Amtsantritt als Linksparteivorsitzender war er ver.di-Chef in Stuttgart. Sein Name steht für das Entwickeln und Ausprobieren von neuen Streikkonzepten. Er wünsche sich, dass dieser Dialog künftig auch auf der Bundesebene verstärkt geführt werde, sagte Riexinger gegenüber »nd«.

Sinkende Tarifbindung, eine stark gestiegene Zahl von Arbeitskämpfen besonders in gewerkschaftlich schlecht organisierten Bereichen sowie zunehmend aggressiver in Tarifauseinandersetzungen auftretende Arbeitgeber sind nur drei Gründe dafür, dass mit der Konferenz eine in den DGB-Gewerkschaften noch zu wenig laufende Debatte zur richtigen Zeit aufgegriffen wurde. »Zwischen 2004 und 2008 hat sich die Zahl der bei ver.di beantragten Streiks vervierfacht und ist in den letzten Jahren auch noch einmal gestiegen«, so Gewerkschaftsforscher Heiner Dribbusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung bei einer Podiumsdiskussion am Samstagabend. Der größte Teil davon seien »Häuserkämpfe«. Arbeitsgruppen etwa zur Zusammenarbeit mit Bündnispartnern, zu Streikformen oder zu Kämpfen in prekären Bereichen wie Leiharbeit oder mit befristet Beschäftigten waren das Kernstück der Konferenz. GewerkschafterInnen aus unterschiedlichen Branchen berichteten von ihren Erfahrungen, tauschten sich aus.

Am Rande der Veranstaltung befragt zogen viele Angereiste eine positive Bilanz und wünschten, dass der Dialog weitergehen möge. Dem Vernehmen nach könnte es im nächsten Jahr eine Folgeveranstaltung der RLS zusammen mit ver.di-Niedersachsen geben.

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