Drahtzieher für Stahlriesen
Die Krupp-Stiftung sucht nach neuem ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef
Nachfolger für einen Mann wie Gerhard Cromme sind bei aller Kritik an ihm schwer zu finden. Immerhin hat der Manager, der im Februar seinen 70. Geburtstag feierte, über 27 Jahre die Geschäfte von Krupp und später bei ThyssenKrupp, seit 2001 als Aufsichtsratschef, entscheidend beeinflusst. Den Zusammenschluss von Krupp und Hoesch hatte er 1992 ebenso eingefädelt wie die Fusion von Krupp mit Thyssen 1999. Ohne Cromme gäbe es eine eigenständige deutsche Stahlbranche vielleicht gar nicht mehr.
Doch in den letzten beiden Jahren schwoll die Kritik an, weil Cromme den Bau der verlustreichen neuen Stahlwerke in Brasilien und den USA schlecht überwacht haben soll. Der jetzige Vorstandschef Heinrich Hiesinger - im Januar 2011 von Cromme bei Siemens abgeworben - will die Werke wieder verkaufen. Dazu kommen diverse Kartellabsprachen unter anderem beim Schienenverkauf an die Deutsche Bahn und bei Stahlblechen für die Autoindustrie. Cromme heimste als Siemens-Aufsichtsratschef für die Bereinigung der Korruptionsaffäre beim Münchner Technologie-Riesen viel Lob ein. Es entbehrt daher nicht der Ironie, dass er Kartelle und Korruption beim viel vertrauteren Stahlgiganten nicht in den Griff bekam. Am Ende verlor jedenfalls auch Bertold Beitz nach langem Zuwarten die Geduld mit dem Schützling. Am Leiter der Krupp-Stiftung, mit 25,33 Prozent größter Anteileigner, führt beim Stahlkonzern kein Weg vorbei.
Gute Chancen bei Beitz haben zwei Wirtschaftsführer, die in den Medien als Kandidaten für den Aufsichtsratsvorsitz genannt werden. Der 66-jährige Ulrich Lehner, bis 2008 Vorstandschef des Konsumgüterherstellers Henkel, gehört dem ThyssenKrupp-Aufsichtsrat seit rund fünf Jahren an, ist zudem Mitglied im Kontrollgremium der Telekom und war Verwaltungsratspräsident des Pharmakonzerns Novartis. Lehner gilt in Deutschland als ebenso gut vernetzt wie der zweite Favorit, der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel (65). Er sitzt seit 2010 im Kontrollgremium von ThyssenKrupp. Der frühere Chef des Baukonzerns Hochtief ist zudem Mitglied im Commerzbank-Aufsichtsrat. Zudem soll er demnächst in den Aufsichtsrat des Energiekonzerns RWE sowie den Verwaltungsrat des Luftfahrtriesen EADS einziehen.
Für Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionäre, stellen beide Kandidaten nicht den benötigten »personellen Neuanfang« dar. Sie hätten die in der Vergangenheit getroffenen Fehlentscheidungen mitzuverantworten, meint Dufner. »Mit der Freude über den Rücktritt Crommes ist auch die Befürchtung verbunden, dass sich an der Geschäftspolitik von ThyssenKrupp nur wenig ändern wird.«
Derweil hat Beitz noch ein anderes Problem. Die graue Eminenz der deutschen Stahlbranche hatte Cromme zum Kronprinzen für die Nachfolge bei der Krupp-Stiftung ausgerufen. Nach Crommes Rückzug auch als deren Vize muss sich Beitz plötzlich nach einem Neuen für die Einrichtung umsehen, die in der Nachfolge des Krupp’schen Industrie-Imperiums eine wichtige Machtposition in der deutschen Wirtschaft innehat.
Eine Entscheidung über das Spitzenamt bei ThyssenKrupp dürfte noch vor der nächsten regulären Aufsichtsratssitzung am 15. Mai bei einem außerordentlichen Treffen fallen. Bei der »Al-fried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung«, so der offizielle Name, wird noch nicht einmal über Kandidaten für die Zeit nach Beitz spekuliert. Allerdings will der 99-jährige Chef des Stiftungskuratoriums offenbar die Funktionen trennen, wie das »Handelsblatt« unter Berufung auf Insider berichtete. Eine künftige Doppelrolle habe nur für Cromme gegolten.
Auch für den Siemens-Konzern könnte der Sturz Crommes Folgen haben. Er war bei der Hauptversammlung Ende Januar mit mehr als 90 Prozent der Aktionärsstimmen im Amt als Chefaufseher bestätigt worden und möchte dieses behalten. Inzwischen werden aber Zweifel daran laut. Offen fordern seinen Rückzug bereits die Siemens-Belegschaftsaktionäre.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.