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»Wie hättest du dich verhalten?«
Die Verstrickung der Großeltern in der Nazi-Zeit
Nein, das ist kein weiterer Erlebnisbericht über die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Moritz Pfeiffer, Jahrgang 1982, Pazifist und Wehrdienstverweigerer, begab sich auf die Suche nach einer Antwort auf das Verhalten seines geliebten Großvaters in der Nazizeit. Dieser war Oberleutnant der Wehrmacht; die Großmutter war BDM-Führerin. Beide sagten dem Enkel, sie hätten mit den Nazis »nichts am Hut gehabt«. Der Nachwuchswissenschaftler verglich nun die Aussagen seines Großvaters über das angeblich korrekte Verhalten der Wehrmacht mit dem Kriegstagebuch der Division, der er angehört hatte. Und der Enkel musste erkennen, dass sein Großvater weit mehr mit dem verbrecherischen Regime verbunden war, als er ihm glaubhaft zu machen versucht hatte.
Oft konterten Kriegsteilnehmer die bohrenden Nachfragen der Nachkriegsgeneration mit der Frage: »Wie hättest du dich denn in dieser Zeit verhalten?« Sie ist berechtigt, aber wird zugleich wie eine Entschuldigung vorgebracht. Pfeiffer will nicht richten, schreibt nicht mit der Feder des allwissenden, arroganten Nachgeborenen, dem die »Gnade der späten Geburt« zuteil geworden ist.
In ihrer Jugend waren Pfeiffers Großeltern für die Phrasen der Nazis auf Grund ihrer Unerfahrenheit empfänglich. In der Schule und im gutbürgerlichen Elternhaus wurde ihnen die verführerische Naziideologie eingeimpft. Zeltlager und Wettkämpfe, bei denen Mut und Ausdauer, germanisches Heldentum zu beweisen war, fröhliche BDM-Reigen und die Bücher von Edwin Erich Dwinger, der als Prototyp des faschistischen Schriftstellers galt, festigten ihren Glauben an den »Führer«, der Deutschland aus den Fesseln des Versailler Diktats sowie aus der »Zinsknechtschaft der Plutokraten« befreit habe. Außerdem habe Hitler die Arbeitslosigkeit beseitigt und schnelle Autobahnen gebaut. Arbeiter konnten mit Kreuzfahrtschiffen der KdF-Organisation über Weltmeere schippern. Daran glaubten nicht nur Pfeiffers Großeltern.
Was sich hinter dem Schein verbarg, im »Reich« und in den okkupierten Ländern vor sich ging, wusste man angeblich nicht oder wollte es nicht wissen. Die Großelterngeneration rebellierte jedenfalls nicht gegen die Massenmorde an politischen Gegnern, an Millionen Juden, an kriegsgefangenen »Bolschewisten«, an »Zigeunern« und anderen »Artfremden«. Und es muss ihnen einiges zu Ohren gekommen sein. Nicht alles konnte als Gerücht oder Feindespropaganda abgetan werden. Vor aller Augen etwa wurden ausgemergelte KZ-Häftlinge durch die Straßen deutscher Städte und Dörfer getrieben.
Nach der Lektüre des Buch bleibt die Schlussfolgerung: Um sich vor verführerischen Ideologien heute zu wappnen, sollte man den eigenen Verstand nutzen und auf sein Gewissen hören.
Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg, 1939 - 1945. Donat. 214 S., geb.,14,80 €.
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