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Ein Frauenleben - banal und besonders
Eva Menasse erzählt mit sanftem Humor, unaufgeregt und dabei fesselnd
Genau so ist das Leben: episodenhaft, perspektivenreich, überraschungsvoll und spontan. Eva Menasses »Quasikristalle« perlen um die Wiener-Berliner Powerfrau Xane Molin. Menasse schildert, mit sanftem Humor, unaufgeregt und zugleich fesselnd, die Kindheit ihrer Heldin in Österreich, die Stunden mit den Jugendfreundinnen Judith und Claudia, die erste, zweite, dritte Liebe, den Umzug nach Berlin, die Jahre bei den »Piefkes«. Das Spannende ist, dass die Chronologie nicht Xane selbst durch die Jahre folgt, sondern wir ihr Sein in den Abenteuern, Erfahrungen, Ereignissen der anderen miterleben.
Über ihre Ehe mit dem deutlich älteren, liebenswürdigen und klugen Wissenschaftler Mor Braun lesen wir in einer Episode um Sally, Judiths kleiner Schwester, der Xane zufällig in Berlin begegnet. Dass Xane Mutter wird, lernen wir im Kapitel, dessen Hauptfigur Heike Guttmann ist, die souveräne Gynäkologin einer Fruchtbarkeitsklinik. Der kleine Sohn Amos wird nach mehreren Fehlgeburten - doch ohne künstliche Befruchtung - geboren, und sie zieht ihn engagiert neben den Stieftöchtern Viola und Emmy groß, ohne darüber ihre alternative, politisch sehr korrekte Werbeagentur zu vernachlässigen.
Auch Violas und Emmys in einem indischen Ashram verschwundene Mutter taucht kurzfristig wieder auf, um erneut abzutauchen. Und dann gibt es noch Nelson, die ferne, unerreichbare, idealisierte (platonische) Liebe: ein anderer, älterer Mann, Verfolgter einer Diktatur und wichtiger Zeuge in einem Kriegsverbrecherprozess.
Eva Menasse packt ein ganzes Jahrhundert und sehr viel Alltag in ihren kurzweiligen Roman, und sorgt damit für eine perfekte Kombination von narrativer Stärke und Identifikationspotenzial. Xanes Leben ist so banal und besonders, wie das vieler Frauen ihrer Generation. Eva Menasses zweiter Roman (nach Vienna, 2003) sollte also nicht ins Regal »typischer Frauenliteratur« verbannt werden. Denn das Faszinierende an ihrer Geschichte ist nicht nur der gefühlvolle, (selbst-)ironische und hinreißend bildmalerische Erzählstil der Autorin, sondern die Komposition des Buches selbst. Eben die Tatsache, dass Xane zwar die Protagonistin des Romans, nicht jedoch der einzelnen Kapitel ist. In manch einer Episode - beispielsweise in der Geschichte der investigativen und leicht von Paranoia getriebenen Journalistin Shanti, die ein älteres Ehepaar auf einer Parkbank beobachtet -, wird sie nicht einmal namentlich genannt.
»Quasikristalle« ist ein sympathischer, passender Titel für ein Buch, das einen exquisiten Start ins Belletristikjahr 2013 darstellt. Überdies ist dies unter den vielen neuen Berlin-Romanen, die derzeit die Buchhandlungen fluten, ein ganz besonderer. Er spielt nicht deshalb in der angesagten Metropole an der Spree, weil es hip ist, oder weil sich die Autorin für ein paar Monate in der deutschen Hauptstadt niedergelassen hat, sondern weil es passt. Kristalle mitten im buntlebendigen Tand!
Eva Menasse: Quasikristalle. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 431 S., geb., 19,99 €.
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