Die Gefahren der Sicherheit

ZUR SEELE: Erkundungen mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 4 Min.

Erst hatte mir das Thema nicht eingeleuchtet, zu dem ich Mitte Februar auf ein Symposion nach Dürnstein in der schönen Wachau eingeladen war: »Risiko Sicherheit«. Aber je länger ich in dem bezaubernden Rokokokloster unter einem Freskohimmel saß, desto mehr konnte ich mit dem Grundgedanken anfangen, dass nichts in modernen Zeiten gefährlicher ist als der Glaube an die Garantie. Angst macht dumm. Da das Sicherheitsdenken von Ängsten angetrieben ist, kommen wir am Ende dazu, Atomkraftwerke zu bauen, um unsere Energieversorgung zu sichern, und Atombomben in Unterseeboote zu packen, um dem Feind noch mehr Angst einzujagen als wir sie selber haben.

Psychologisch aufschlussreich fand ich eine Anekdote von Marianne Gronemeyer (Sicherheitsbedürfnis und Lebensrisiko). Sie stand hilflos neben ihrem Auto mit leerem Tank. Ein Engel kam in Gestalt eines freundlichen Mannes, der anhielt, mit seinem Reservekanister aushalf und nicht einmal Geld wollte. Sie tankte und kaufte sich selbst einen solchen Kanister, um in Zukunft sicher zu sein - wovor? Vor dem reizenden Zufall, dass in der Not ein Erlöser auftaucht.

Weniger freundlich war ihre zweite Anekdote über einen Werbespot einer Rechtsschutz-Versicherung: Wie schnell kann doch der Nachbar zum Feind werden! Ein Streit über Schneeräumen, Hundegebell oder überhängende Äste, Beleidigungen, Tätlichkeiten, ein teuerer Prozess über mehrere Instanzen. »Hoffentlich allianzversichert!«

Wir können nicht gleichzeitig Garantie haben und Vertrauen. Was aber viel tückischer ist: Der Aufbau einer zweiten Natur, die dem Menschen Sicherheit verspricht, macht in Wahrheit die unvermeidlichen Gefahren des Lebens unerträglich. Wir leben in einer kapitalgestützten Sicherheitshysterie: Gefahren werden übertrieben. Fear sells better than sex - Angst verkauft sich besser als Sex!

In dem Bestreben, uns möglichst viele Ängste zu ersparen, schwächt jeder Sicherheitskomfort die Angstverarbeitung. Eine Lehrerin erzählte mir in der Pause, wie sich nach einem Wandertag Schülerinnen bitterlich bei ihr beklagten: Sie hatten auf einem Waldweg keinen Handyempfang mehr. Vorne ging ein Lehrer, hinten eine Kollegin, die Kette hatte sich etwas auseinander gezogen. Panik brach aus, als die Teenager niemanden mehr sahen, der Weg sich teilte und sie nicht sofort jemanden erreichen konnten.

Seit der Tragödie mit dem Floß der Medusa wissen wir, dass Menschen auf den Verlust der »zweiten Natur« mit Panik reagieren und tief unter ihre intellektuellen und handwerklichen Fähigkeiten stürzen. Die Struktur gibt Sicherheit - und versorgt uns mit Anlässen zur Panik. Im 21. Jahrhundert hat sich diese Problematik verschärft. Großprojekte scheinen selbst unter optimalen Bedingungen nicht mehr ausreichend steuerbar (wie der Flughafen in Berlin oder der Bahnhof in Stuttgart). Fukushima hat gezeigt, dass die besten Experten nur dann verstehen, was in einem Atommeiler geschieht, wenn alle Kontrollinstrumente funktionieren. Nach dem Stromausfall verwandelt sich die Hochtechnologie blitzschnell in einen Dschungel voller tödlicher Gefahren, gegen die der modernen Wissenschaft nur Mittelalter einfällt: einmauern, zumauern, abdichten.

Und die Lösungen? Garantien ignorieren und Raum für den glücklichen Zufall öffnen, sagte Gronemeyer. Darauf verzichten, sich gegen Asylbewerber abzuschotten, als seien sie Feinde, sagte Karl Helmreich, ein leidenschaftlich engagierter Benediktinerpater, der für Migranten kämpfte als wären sie seine Kinder. Herzensbildung, nicht Sicherheit, sagte Malidoma Somé, Kulturwissenschaftler und traditioneller Heiler, der aus Burkina Faso stammt und in den USA lebt. Er setzt sich unter anderem für die anderthalb Millionen Inhaftierten in den USA ein, von denen 80 Prozent schwarz sind. Seine Botschaft ist modern und traditionell zugleich: Jeder Mensch verdankt seinen Ahnen, dass er auf der Welt ist, er hat den Auftrag, zur Gemeinschaft beizutragen und soll auf sein Herz hören, um herauszufinden, wie er selbst ein Ahne werden kann, der Respekt verdient.

Das hört sich schlicht an, aber wie Somé es seinen Zuhörern nahe bringt, macht verständlich, dass ihm auch Menschen zuhören, die bisher Empathie weder für sich noch für andere kannten.

Unser Kolumnist sprach in Dürnstein zu dem Thema »Die Liebe ist kein sicherer Ort«. Eine CD mit dem Mitschnitt der Tagung kann bezogen werden über Wachau Kultur Melk GmbH, www.Kultur-melk.at.

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