Intellektuelle Todeszone
Nein, nein, nein! Bleiben Sie da, lesen Sie bitte weiter. Obwohl ... ich muss zugeben, dass diese Kolumne eine ganz schöne Zumutung für die geneigte Leserin und den ehrwürdigen Leser werden wird. Und frei von Eitelkeiten ist sie auch nicht, ihr eigentlicher Zweck besteht schließlich darin, dass Sie meinen Arbeitsalltag besser kennenlernen sollen.
Sie sind noch da? Puh, gut, dann holen Sie sich noch einen frischen Kaffee, schnallen Sie sich an. Es geht los, ich werde Ihnen jetzt ein paar Sätze um Augen und Ohren feuern, dass Sie wünschen, der Optiker in Ihrem Städtchen hätte doch noch eine Weile der Fielmann-Filiale am Stadtrand getrotzt.
Bereit? Also: »Dieser Sieg war wichtig«, »das Tor hat uns in die Karten gespielt«, »wir gehen raus und wollen alles geben«, »Wir sind schwer enttäuscht, verloren zu haben«, »unsere Mannschaft ist gut aufgetreten«, »wir sind froh, dass wir gewonnen haben« , »wir werden das Spiel in Ruhe analysieren«, undsoweiterundsofort.
Sie ahnen es, ich war am Wochenende mal wieder im Inneren eines Fußballstadions. Und es wäre jetzt absolut unfair von mir, wenn ich dazuschreiben würde, dass die Aussagen von Nürnbergern und Schalker Spielern stammen. Unfair und unsachlich – die der anderen 16 Erstligisten reden nämlich allesamt genauso.
Zum Job eines Sportjournalisten gehört es, nach dem Schlusspfiff in die so genannte »Mixed Zone« zu gehen. Die heißt so, weil dort Spieler und Journalisten aufeinandertreffen, sich also mixen, was natürlich Quatsch ist, weil sich beide Berufsgruppen ihre Sexualpartner anderswo aussuchen, aber im Wetterbericht spricht man ja heute auch von einem »Mix aus Regen und Wolken«, ganz als fahre Petrus mal so eben mit einer Mähmaschine über den Himmel und zerschreddere Wolken und Himmelblau zu einem norddeutschen Tiefgrau. Aber ich schweife ab...
Sie haben natürlich Recht, es stellt sich wirklich die Frage, warum wir Journalisten wie die Lemminge in die intellektuelle Todeszone stürzen, wie Teenager unsere I-Phones und Aufnahmegeräte in die Nähe der Spielermundöffnungen recken, nur um dann beim Abhören der Geräte zu merken, dass »das nächste Spiel« mal wieder »das schwerste« sein wird, man aber brav »von Spiel zu Spiel denkt.« Der Leser braucht Zitate, sagt der Vorgsetzte, der es wissen muss. Der Vorgesetzte war noch nie in einem Fußballstadion. Er kann also nicht wissen, was alle Sportjournalisten seit ihrem ersten Praktikum wissen: Die Mixed Zone heißt so, weil dort gequirlte Scheiße geredet wird.
Ah, ich sehe, Sie nicken. Dass Fußballspieler ein strukturelles Intelligenzdefizit haben und dementsprechend doofe Sachen sagen, glauben schließlich so gut wie alle Menschen, selbst die dümmsten. Sie glauben, die Herren Spieler reden so saudumm daher, weil es vom Kopf her zu nicht mehr reicht. Doch das stimmt, wenn überhaupt, nur bedingt.
Sie halten Interviews mit Bundesligaspielern für stinkelangweilig? Für verzichtbar? Sie haben Recht. Aber seien Sie mal froh, dass Sie nicht wissen, wie saudumm die Fragen sind, die wir den Spielern stellen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.