Deutsches Diktat

Was hinter den Kulissen der Krisendiplomatie abgeht

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer ist für das Desaster in Zypern verantwortlich? Aus einer Fülle von Presseberichten und Äußerungen der beteiligten Akteure lässt sich belegen, dass die Bundesregierung mit ihren Helfershelfern in den EU-Institutionen als treibende Kraft bei der angestrebten Teilenteignung der zyprischen Sparer auftrat. Nicht nur Demonstranten in Nikosia machen die Berliner Führung für die Kriseneskalation verantwortlich. Auch George Sklavos, der als zyprischer Finanzbeamter an den entscheidenden Verhandlungen beteiligt war, machte gegenüber dem »Guardian« Wolfgang Schäuble als den Politiker aus, der beim EU-Gipfel Ende vergangener Woche »am härtesten auf eine Steuer auf Bankguthaben« drängte.

Reuters zitierte Quellen aus der Bundesregierung, laut denen Schäuble ein eindeutiges »Mandat aus Berlin« hatte, demzufolge es »keine Einigung« geben soll, solange zyprische Kontoinhaber nicht »einen Schlag« hinnehmen müssen. Es gab also in Brüssel keine Verhandlungen, sondern ein deutsches Diktat, dem sich Präsident Nikos Anastasiades zu beugen hatte. Sklavos berichtete, die Delegation aus Nikosia sei vor »vollendete Tatsachen« gestellt worden. Etliche Politiker in Zypern sprachen von schlichter Erpressung.

Laut der griechischen Zeitung »Kathimerini« machte Anastasiades bei einem Telefonat mit dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok und EU-Währungskommissar Olli Rehn die Kanzlerin direkt für das Scheitern verantwortlich. Berlin habe es nicht wahrhaben wollen, dass die Teilenteignung keine Parlamentsmehrheit finden werde. »Übermitteln Sie Frau Merkel meine besten Grüße«, soll Anastasiades seinen Gesprächspartnern mitgegeben haben.

Die unerfahrene zyprische Delegation wurde beim EU-Gipfel einer regelrechten Schockbehandlung unterzogen. Im Vorfeld habe es Zusagen seitens etlicher EU-Vertreter gegeben, dass es in Bezug auf Zypern nur »Gespräche, aber keine Entscheidungen« geben werde. Am Freitagnachmittag wurde dem perplexen Finanzminister Michalis Sarris beim Treffen der Eurogruppe dann mitgeteilt, Zypern habe rund zwei Milliarden Euro durch Besteuerung von Spareinlagen aufzutreiben - anfänglich schien Anastasiades diese Bedingung auch akzeptieren zu wollen. Doch gegen 19.30 Uhr ließ es sich Schäuble nicht nehmen, nun persönlich eine Teilenteignung in Höhe von 5,8 Milliarden zu fordern. »Sie versuchen, uns zu zerstören«, antwortete der zyprische Präsident.

Die zyprische Delegation war im Begriff, die Verhandlungen zu verlassen, da trat der deutsche Chefunterhändler der Europäischen Zentralbank auf den Plan. Jörg Asmussen, der von Schäuble 2011 ins Direktorium gehievt wurde, erklärte gegenüber Anastasiades, die Zentralbank werde dem zyprischen Finanzsektor die Liquidität abdrehen, sollte er Schäubles Vorgabe nicht binnen zwölf Stunden befolgen. Mittels dieser glatten Erpressung wurde das »Schicksal der zyprischen Bankkunden in Berlin besiegelt«, titelte die »Financial Times«.

Zypern sollte die Rolle eines »Versuchskaninchens« spielen, meint der Finanzbeamte Sklavos. Wenn dies funktionieren sollte, »dann wäre vielleicht Spanien oder Italien als nächster dran. Und falls das Berliner Kalkül nicht aufgehen würde: Wen interessiert schon Zypern?«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.