Oper und Opiate
David Bowie feiert sein Comeback
Heroin. Der britische Musiker, Schauspieler, der Pop- und Verwandlungskünstler David Bowie kann davon ein Lied singen. Schon sein Astronaut Major Tom aus dem Song »Space Oddity« von 1969 trägt die Züge des von seiner »Ground Control« abgeschnittenen Junkies: Schmerzfrei, aber auch wehr- und richtungslos rast er in seiner isolierten Drogenkapsel durchs All - bis nach Berlin, der, laut Bowie, damaligen Welthauptstadt des Heroins.
Bowie war jener Junkie. Aus der realen Welt katapultiert wurde er aber nicht vorrangig durch die Droge. Es waren die Mechanismen des Rock'n'Roll-Zirkus, dem er sich durch die Künstlichkeit seiner dekadenten Figuren des 20er-Jahre Kabaretts, des Außerirdischen, des »White Dukes« oder des Glam-Rockers Ziggy Stardust noch intensiver auslieferte als »normale« Rockstars. In einer in solchem Maße irrealen Szenerie versprachen vor allem die Momente des Rückzugs in den (altbekannten, berechenbaren, verlässlichen) Rausch so etwas wie Ruhe, Geborgenheit und »Echtheit«.
Bowies Rettung, sowohl gesundheitlich als auch künstlerisch, sein Ausweg aus dem Spagat zwischen kostümiertem Rock-Oper-Wahnsinn und durch Substanzen vorgegaukelter Heimeligkeit hieß Mitte der 70er Jahre Westberlin. Hier tauschte er den Glitzerfummel gegen die schwarze Lederjacke, den Musical-Sound gegen reduziertere, experimentellere Formen. So verdankt man den Opiaten (und Bowies letztendlich erfolgreichem Kampf gegen sie) also eines der stärksten Stücke Popgeschichte.
Bowie mag in der einstigen Front- und Mauerstadt, dem schon damals internationalen Sehnsuchtsort der Künstler-Boheme, jener Exzess und Freiheit verheißenden Sinfonie in Grau dem Heroin ein Schnippchen geschlagen haben - bei seiner Berlin-Trilogie »Low« (1977), »Heroes« (1977) und »Lodger« (1979) knirscht das hellbraune Pulver aber noch unüberhörbar in den Rillen.
Mit seiner aktuellen, positiv rückwärtsgewandten Platte »The Next Day« knüpft der 66-Jährige nun genau an diese für ihn wie für viele seiner Fans wichtigste Schaffensperiode an. Zwar versammelt Bowie mit den 14 neuen Songs sämtliche musikalischen Metamorphosen, die er bereits durchlebte: psychedelischen Folk, Glam-Rock, ultraweißen Funk und Soul. Doch die dominierende Assoziation, die die stimmige und überraschend rockige Platte auslöst, bleibt Berlin - was durch die Song-Hommage an die Hauptstadt »Where are we now?« und das verfremdete »Heroes«-Cover der LP verstärkt wird. Es ist ein Glücksfall, dass sich das Popchamäleon für sein Comeback mit dem grübelnden Existenzialisten die würdigste seiner vielen Rollen auswählte.
Der Song »Where are we now?« mag mit seinen verlesenen Berliner Straßennamen für so Manchen etwas zu viel Stadtplan-Ästhetik verströmen - dennoch berührt die Ballade. Und hier landet man nun wieder beim Heroin, das bei dem Song förmlich aus den Boxen rieselt. Als sei der Musiker und Schauspieler für seine geistige Rückkehr nach Berlin noch einmal rückfällig geworden, als sei der Junkie-Astronaut Major Tom ein letztes Mal herabgestiegen, um vollgeballert und durch eine Milchglasscheibe den neuen Potsdamer Platz zu beschreiben. Bemerkenswert an diesem stärksten Lied der Platte ist aber auch, dass Bowie für solche Songperlen heute kein Heroin mehr braucht.
»Eigenblutdoping« hat das Musikmagazin »Rolling Stone« die auf der neuen Bowie-Platte praktizierte Revitalisierung der alten Stile (man könnte auch sagen: Hüte) genannt. Das ist, wenn es nicht abschätzig gemeint ist, durchaus korrekt. In diesem Fall wird der Ex-Junkie Bowie auch nichts dagegen gehabt haben, wenn mit den Blutkonserven auch mal wieder Spuren von (musikalischem) Heroin in seine Venen gespült werden. Der Fan, der sich nach Bowies Geschmacksverirrungen seit den 80er Jahren teilweise abgewandt hatte, schon gar nicht.
Die Skala der Rezeption der neuen Platte erstreckt sich von einer weit verbreiteten wohlgesonnenen, fast hymnischen Denkmalspflege bis zum Verriss. Die »taz« etwa stößt sich (in erfrischend einfachen Worten) vor allem an der Begeisterung: Die momentane »Bowiemania« sei eine »selbstreferenzielle Massenhysterie, oder, mit Lacan gesprochen, ein ins Präsenile verschobenes Spiegelstadium als Bildner der Ich-Funktion«. Die »Süddeutsche Zeitung« urteilt, David Bowie habe »unserer bipolaren Epoche nur wenig zu sagen«.
Zu solchen ebenfalls leicht selbstreferenziellen Äußerungen steht aber im Widerspruch, dass Bowie auch in unserer heutigen »bipolaren Welt« (mal wieder) als Projektionsfläche mehrerer Generationen hervorragend zu funktionieren scheint. Nach über zwanzig Jahren des künstlerischen Nischendaseins, davon zehn in großer Zurückgezogenheit, steht »The Next Day« in England und Deutschland an der Spitze der Charts. Eine am 25. März öffnende Ausstellung mit Bowie-Devotionalien in London hat bereits über 50 000 Tickets verkauft.
Kommerzieller Erfolg ist kein Gütesiegel. Im Falle von »The Next Day« aber sind sich Publikum und die meisten Kritiker mal einig: David Bowie hat ein mindestens ordentliches, wenn nicht sensationelles Stück Popmusik abgeliefert. Vom Gitarren-Glamrock-Stampfer »The Next Day« über die Balladen »Where are we now?« und »You feel so lonley« bis zum Funk beziehungsweise der Kälte von »Boss of me« und »Love is Lost«, die beide aus dem Berlin von 1978 stammen könnten.
Das ist wie feinstes Heroin für die Ohren: ein betörender Suchtstoff - nur nicht so tödlich.
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