Spielraum ungenutzt

Kurt Stenger über aktuelle Tarifverhandlungen

Alle Jahre wieder streiten Arbeitgeber und Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen, wie weit die Gehälter angehoben werden sollen. So auch in der jetzigen Runde: Die einen mahnen, dass die Konjunktur gerade lahmt und die Unternehmen nicht zusätzlich belastet werden dürfen. Die anderen halten dagegen, dass die Unternehmen im letzten Jahr dank brummender Konjunktur gut verdienten und die Beschäftigten daran teil haben müssen. Beides klingt plausibel, weshalb sich die Frage stellt: Gibt es keinen objektiven Maßstab?

Doch, den gibt es: die Summe aus Steigerung der Arbeitsproduktivität pro Beschäftigten und der Inflation. Ökonomen sprechen vom verteilungsneutralen Spielraum. Das heißt, wenn die Lohnpolitik diese Größe ausschöpft, dann hat sich an der Verteilung des volkswirtschaftlichen Vermögens zwischen Lohnbeziehern auf der einen Seite und Unternehmen bzw. Aktionären auf der anderen Seite nichts geändert. 2012 wurde dies in etwa erreicht, wie sich aus der jetzt veröffentlichten, leicht korrigierten Berechnung durch das Statistische Bundesamt ergibt.

Alles in Butter also? Ganz und gar nicht. Das Problem ist, dass seit Beginn dieses Jahrhunderts die Gehaltserhöhungen etwa in der Metallbranche um insgesamt 15 Prozent zu niedrig waren. Und in den 1990ern sah es nicht besser aus. An dem ungenutzten Spielraum lässt sich zweierlei ablesen: die Umverteilung und die Schwäche der Gewerkschaften. Höchste Zeit also, dass Pendel zurückschwingt.

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