Eine Lobby für die Älteren

Wie Göttingens Seniorenbeirat Stadtpolitik macht

  • Kai Böhne, Göttingen
  • Lesedauer: 4 Min.
Beispiel Göttingen: Schon heute sind 21 Prozent der Bürger der niedersächsischen Stadt älter als 60 Jahre. Doch welche Möglichkeiten der Interessenvertretung gibt es für Senioren?

Als während der Straßenbauarbeiten in der Göttinger Jüdenstraße die Bushaltestelle in die Rote Straße verlegt wurde, fehlte dort eine Bank. Ältere Bürger beklagten dieses Manko an der Bedarfshaltestelle. Doch dann griff Helmut Koch ein - innerhalb von 14 Tagen wurde eine Sitzbank aufgestellt. Koch ist im Seniorenbeirat der Stadt und hatte das Problem in den Bauausschuss eingebracht.

Zum Jahresende 2012 lebten in Göttingen 27 876 Personen, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatten - das waren bereits über 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. »Bis zum Jahr 2025 wird sich der Anteil der über 60-Jährigen laut demografischer Hochrechnungen sogar auf über 25 Prozent erhöhen«, erklärt Mirko Hönig. Er ist im Fachbereich Soziales der Stadt Göttingen für die Seniorenberatung und den Pflegestützpunkt zuständig. Doch welche Möglichkeiten der Interessenvertretung gibt es für Senioren? In Göttingen ist dies die Aufgabe des gewählten Seniorenbeirates. Insgesamt gibt es in Niedersachsen 175 Seniorenvertretungen, die sich zum Landesseniorenrat zusammengeschlossen haben.

Über 100 Einladungen

Der Göttinger Beirat ist ein auf Beschluss des Rates der Stadt gewähltes ehrenamtliches Gremium. »Der Seniorenbeirat ist parteipolitisch und konfessionell unabhängig. Er hat sich mit Zustimmung des Rates eine Wahlordnung und Satzung gegeben«, erläutert Hönig. Wenn es dem städtischen Mitarbeiter zeitlich möglich ist, nimmt er an den monatlichen Beiratssitzungen teil.

Der amtierende Göttinger Seniorenbeirat besteht aus elf Personen - acht Männer und drei Frauen - und wurde im September 2011 auf einer Delegiertenkonferenz gewählt. Zu dieser kommen Delegierte von Vereinen und Verbänden zusammen, die in der Seniorenarbeit aktiv sind. Sämtliche Göttinger Organisationen und Einrichtungen, die Seniorenarbeit betreiben, werden aufgefordert, sich durch Delegierte vertreten zu lassen. »Im Vorfeld wurden über 100 Einladungen verschickt«, sagt Karin Rohrig, Schriftführerin des Seniorenbeirats.

Auf der Delegiertenkonferenz stellen sich die Bewerber für den Beirat in freier mündlicher Rede vor. Sie berichten über ihren beruflichen Hintergrund, ihre Erfahrungen und skizzieren ihre Ziele und Vorhaben. »Im Anschluss wurden aus rund 20 Bewerberinnen und Bewerbern in geheimer Abstimmung die Mitglieder mit den meisten Stimmen in den Seniorenbeirat gewählt«, erklärt Rohrig. »Ich hatte erst Zweifel, ob ich mich zutreffend vorgestellt hatte. Am Ende habe ich mich gefreut, dass man mir das Vertrauen ausgesprochen hat.«

»Unsere Beiratsmitglieder haben Antrags- und Rederecht in städtischen Ausschüssen«, erläutert Helmut Koch, Mitglied des Bauausschusses und des Unterausschusses Weststadt. »Wir wurden vereidigt und dürfen auch an dem nicht öffentlichen Teil der Ausschusssitzungen des Rates teilnehmen.« Diese Befugnisse sind nicht selbstverständlich. »Nicht alle niedersächsischen Kommunen billigen ihren Seniorenvertretungen ein Antragsrecht zu«, erklärt Hönig.

Besuch in Pflegeheimen

»Auf unseren Sitzungen werden aktuelle Probleme von älteren Menschen erörtert«, sagt Karin Rohrig. »Falls erforderlich, entwerfen wir Anträge, die von unseren Vertretern zeitnah in die Sitzungen der zuständigen Ausschüsse eingebracht werden.« Der Seniorenbeirat engagiert sich auch für die Bewohner der Göttinger Pflegeheime. Regelmäßig besuchen Beiratsmitglieder diese Einrichtungen, um sich über die Arbeit dort zu informieren.

Helmut Koch hat 49 Jahre als Heizungsmonteur und Bauleiter gearbeitet. Er wurde als IG Metall-Delegierter in den Seniorenbeirat gewählt. Dem Gremium gehört er seit elf Jahren - drei Wahlperioden - an. Im Bauausschuss setzt sich Koch für barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Gebäuden ein. Menschenwürdige Renten und die Bekämpfung von Altersarmut sind Koch ein besonderes Anliegen. »Über 1200 Göttinger können derzeit von ihrer Rente nicht leben«, hat er erfahren. Daher fordert er: keine Senkung des Rentenniveaus unter 50 Prozent.

Bei Karin Rohrig hat der Tod ihres Ehemannes eine tiefe Lebenskrise ausgelöst. Ihre Kinder haben sie ermutigt, sich bei den Naturfreunden zu engagieren, um wieder unter Menschen zu gelangen. Dort hat sie sich betätigt und wurde prompt als Naturfreunde-Vertreterin zur Delegiertenkonferenz der Senioren entsandt. Heute vertritt sie die Senioren im städtischen Sozialausschuss, übernimmt die Korrespondenz des Beirats und gehört zum Redaktionsteam des Mitteilungsblattes.

Karin Rohrig, Helmut Koch und die anderen Mitglieder des Beirats übernehmen Verantwortung und sind viele Stunden für Seniorenbelange im Einsatz. Das erleben auch ihre Kinder. »Du bist ja nie anzutreffen«, bekommt Koch von seiner Tochter zu hören. Und Rohrigs Sohn meint: »Du bist schwerer zu erreichen als der Papst«. Doch beide Senioren wollen ihre Arbeit im Beirat nicht missen. Helmut Koch meint: »Die Aufgaben und Auseinandersetzungen in Gremien sorgen für Gedächtnisfrische.«

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