Herr und Knecht
Deutschland macht sich in der Eurokrise keine Freunde, der Bundesregierung ist es egal
Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Sonntag in Brüssel eintraf, zeigte er sich demonstrativ ungnädig: Es werde hoffentlich nicht einreißen, dass er sich sein Wochenende kaputtmachen lassen müsse wegen einer Sache, die alternativlos sei. Die Zahlen lägen auf dem Tisch und je länger sie sich unerledigt dort befänden, desto ungemütlicher würden sie. Es sei Eile geboten - nicht für eine Entscheidung, sondern für deren fällige Ratifizierung. In derselben Fernsehübertragung wurde gezeigt, wie Zyperns Präsident Nikos Anastasiades mit einer belgischen Militärmaschine eingeflogen wurde. Das wirkte eher wie: angetreten zum Befehlsempfang. In den vorangegangenen Tagen hatte sich die Troika beschwert: Die Zyprer hätten nach dem Nein des Parlaments nicht fix genug Kontakt mit ihr aufgenommen. Jetzt zeigte sich: Es gibt kein Verstecken, und der deutsche Finanzminister war am Ende hoch zufrieden: Warum nicht gleich so?
Kenner der Zeitgeschichte erinnern sich: 1990, als es um die Modalitäten der Wiedervereinigung ging, hatte Schäuble sich ebenfalls so aufgeführt. Es wollte ihm nicht in den Kopf, dass die Verlierer auch noch Ansprüche stellten. Damals soll DDR-Regierungschef Lothar de Maizière (CDU) auf die Idee gekommen sein, als Nationalhymne könne man zur Haydn-Melodie des Deutschlandliedes doch Bechers »Auferstanden aus Ruinen« singen. Schäuble beschied ihn: Es gehe um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und »nicht um die umgekehrte Veranstaltung«. Das gefiel ihm auch im Nachhinein noch so gut, dass er es gern selbst erzählte.
Würde nach dem Prototyp des hässlichen Deutschen gesucht, wäre Wolfgang Schäuble ein heißer Kandidat. Aber die Stelle ist schon besetzt: durch die Kanzlerin. Auf Demonstrationen in Südeuropa wird sie mit Hitler-Bärtchen gezeigt. Das geht aus mehreren Gründen zu weit. Einer davon: Personalisierungen verdecken in der Regel Strukturen. Wenn es schon um arrogante Auftritte deutschen Politikpersonals geht, dann sollte man auch an andere denken. In den 1970er Jahren tönte Kanzler Schmidt: Falls in Italien die Eurokommunisten in die Regierung kämen, werde die Bundesrepublik Kredite, die sie an dieses Land gegeben habe, vorzeitig zurückfordern.
Also: Es geht nicht um Personen, sondern um Nord und Süd. Oder sollen wir sagen: Herr und Knecht? Zu diesem Spiel gehören immer zwei. Als sich abzeichnete, dass das Parlament in Nikosia gegen das erste sogenannte Rettungspaket stimmen werde, informierte Anastasiades vorab die Kanzlerin. Er fühlte sich wohl berichtspflichtig. Manche werden sich an die Rolle erinnern, die der DDR-Unterhändler Günther Krause 1990 in seinem Doppel mit Schäuble in den Verhandlungen zum Einigungsvertrag spielte. Wer Stiefel küsst, kann auch einen Tritt abbekommen.
Als treibende Kraft in den Nord-Süd-Missverhältnissen wird immer wieder einmal Deutschland angeklagt: Es sei der Finanzdiktator Europas. In ihrer Neujahrsansprache hat Angela Merkel sich bemüht, dies auf ihre sanfte Art richtig zu stellen. Sie sagte: »Wenn wir etwas können, was andere nicht können, dann erhalten und schaffen wir Wohlstand.«
Auch so macht man sich Freunde. Gemeint ist: Deutschland produziere Güter, die anderen Völkern gar nicht erst einfallen. Das sind die mit den drei »b«: billig, besser, begehrter. Kein Wunder, dass sie überall hin exportiert werden. Wer das nicht kann, ist selber schuld und hat deshalb Schulden. Allerdings entspricht diese Auffassung nicht ganz der reinen Lehre der Marktorthodoxie. Was den Außenhandel angeht, so gilt seit David Ricardo (1772-1823) die Theorie von der internationalen Arbeitsteilung und den »komparativen Kostenvorteilen«. Seiner Meinung nach konnten da auch Länder profitieren, die technologisch nicht mitzuhalten vermögen. Warum funktioniert das heute nicht mehr?
Hier wäre eine Antwort zu finden, die nicht nur die Kanzlerin, sondern auch die Macher der Agenda 2010 verschweigen. Wo die Reallöhne hoch sind - wie im Kern der deutschen Metall- und der Chemieindustrie -, kann ihr Wachstum dennoch hinter der Steigerung der Produktivität zurückbleiben. Das heißt: Die Lohnstückkosten sinken. Kommen andere Länder da nicht mit, sind sie nicht konkurrenzfähig. Innerhalb der Eurozone können sie dies nicht durch Abwertung reparieren. In die gleiche Richtung wirkt der Druck auf die Staatseinnahmen (Steuererleichterung für die Reichen) und die Sozialabgaben (»Lohnnebenkosten«). All das ist gut für die deutsche Ausfuhr. Gelder, die durch Umverteilung von unten nach oben geschaufelt werden, landen an den Finanzmärkten. Dem deutschen Warenexport folgt der Kapitalexport, dann kommen Schulden, Spekulationsblasen und Crashs.
Durch die Sparpolitik bei Löhnen, Infrastruktur und Sozialausgaben ist ein Ungleichgewicht zwischen Oben und Unten in Deutschland entstanden, und das gehört zu den Ursachen für die Ungleichheit zwischen Norden und Süden. 2012 folgte auch noch der Politikexport: Aus der deutschen Schuldenbremse wurde der europäische Fiskalpakt.
Vielleicht gibt es aber eine Gegenbewegung in Form eines Bumerangs. Die portugiesische Zeitung »Diaro de Noticias« schreibt, die deutsche Politik missbrauche Südeuropa als »Versuchskaninchen«. Wofür?
Versuch einer Antwort: Wenn es nicht um Merkel/Schäuble und Anastasiades geht, auch nicht nur um Nord und Süd, sondern um Oben und Unten - dann erreicht diese Herr-Knecht-Beziehung irgendwann auch das Innenverhältnis in Deutschland. Irgendwann? Es ist schon längst so weit, wenngleich in anderer Form. Gerade wurde ein Jubiläum des hiesigen Herr-Knecht-Verhältnisses begangen: zehn Jahre Agenda 2010. Auch hier: Oben tritt Unten. Am Beispiel Zyperns wurden stillschweigend die Instrumente gezeigt - es könne, wenn nicht gekuscht wird, noch schlimmer kommen.
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